Ausgabe: spw 167

Soziales Europa - Von Lissabon zur solidarischen Erneuerung?

Einleitung zum Heftschwerpunkt

Anfang Juni 2009 findet zum siebten Mal die Direktwahl des Europäischen Parlamentes statt. In Deutschland wie in vielen anderen Ländern der EU wird dies der erste große Urnengang nach den heftigen Eruptionen der Finanzmarktkrise sein. Neben der Auseinandersetzung um die ökonomische Gestaltungsfähigkeit der EU (Europäische Wirtschaftsregierung) steht Europa auch auf dem politischen Feld vor großen Herausforderungen...

Artikel

Inhalt

Einleitung zum Hefschwerpunkt

von Kai Burmeister, Nils Hindersmann, Stefan Stache

Die 2005 gescheiterten Referenden in Frankreich, den Niederlanden und zuletzt in Irland sind Ausdruck einer länger anhaltenden Vertrauenskrise der Bürgerinnen und Bürger in das europäische Projekt. Vor allem die Mehrheit der Beschäftigten, Arbeitslosen und Rentner verbindet Europa nicht mit Fortschritt, sondern eher mit Abbau sozialer Standards, Bedrohung von Arbeitsplätzen und mangelhaftem demokratischen Mitwirkungschancen. Die EU wird als ein Projekt vor allem der politischen und ökonomischen Eliten verstanden. So lehnt die Mehrheit dieser Menschen auch nicht das Projekt der europäischen Integration in Gänze ab, vielmehr äußert sich ihr politischer Unmut über die Art und Weise des Integrationsprozesses.   mehr

Pro/Contra Konjunkturprogramme gegen den Abschwung

von Achim Truger, Robert Kurz

Die Hinwendung zur Wirklichkeit

von Alex Demirovic

Der Juso-Bundeskongress nahm den Antrag „Für eine Linke der Zukunft. Thesen zu jungsozialistischer Politik“ mit deutlicher Mehrheit an. Die Thesen wollen der sozialistischen Zielorientierung mehr Geltung verschaffen und setzen einen wichtigen Kontrapunkt im Kontext der deutschen Sozialdemokratie, die sich als Partei der neuen Mitte versteht. Unter Kurt Beck wurde diese Orientierung etwas gemildert, durch die aktuellen Personalentscheidungen aber erneut bekräftigt.   mehr

Paragraph 129 a, b StGB abschaffen!

von Franziska Drohsel

Der Paragraph 129 a, b StGB ist seit seiner Entstehung umstritten. Nicht zuletzt angesichts der Ereignisse von Heiligendamm und des Verfahrens gegen den Berliner Sozialwissenschaftler Andre H. rückte der so genannte „Terro rismusparagraph“ wieder in den öffentlichen Blickpunkt. Versuche, politische Opposition zu kriminalisieren und mithilfe der Justiz mundtot zu machen, gab und gibt es immer wieder. Der Umgang mit politisch Andersdenkenen ist symptomatisch für den Zustand eines freiheitlichen und rechtsstaatlichen Landes. Deshalb darf diese Thematik von der Sozialdemokratie nicht vernachlässigt werden.   mehr

Wege zur Stabilisierung des internationalen Finanzsystems

von Wolfgang Filc

John Maynard Keynes schrieb 1926 in seinem Essay „The End of Laissez-Faire“: „Viele der größten wirtschaftlichen Übel unserer Zeit sind die Früchte von Risiko, Unsicherheit und Ignoranz“. Dazu zählen Krisen monetärer Märk te, gar ganzer Finanzsysteme. Aus dem Debakel mit Hypothekenkrediten hoher Risikoklasse in den USA ist als weitere Ursache für die Krisenanfälligkeit von Finanzsystemen Gier nach immer höheren Gewinnen hinzuzufügen. mehr

Europäische Sozialunion? Gerade jetzt! Eine Reaktion auf Fritz Scharpfs Verdikt der Verweigerung

von Björn Hacker, Christian Kellermann

Europas Krise wird tagtäglich größer. Überkommen geglaubte nationale Egoismen offenbaren sich in Anbetracht der Finanzmarktkrise und üben eine zunehmend zersetzende Wirkung auf die Gemeinschaft aus. Die nach langem Ringen zustande gekommene Reaktion der 15 Eurostaaten stellt in Wirklichkeit nur ein Abnicken national vorbereiteter Rettungspakete dar, auf deren Gestaltung und Umfang die europäische Ebene keinerlei Einfluss hat. Die politische Führung in Brüssel ist machtlos und hat sich durch ihre einseitige, auf den Binnenmarkt ausgerichtete Politik bei vielen Menschen ins Abseits manövriert. Ihr Neoliberalismus hat viele sozialpolitische Errungenschaften der europäischen Wohlfahrtsstaaten auf niedrigem Niveau eingeebnet. Der jüngste Versuch der Barroso-Kommission, eine „erneuerte Sozialagenda“ für Europa zu entwerfen, ist vor allem als eine taktische Maßnahme zu verstehen, die eigenen Chancen kurz vor den Europawahlen im nächsten Jahr zu verbessern. Ihre Vorschläge geben keine Antworten auf die drängenden sozialpolitischen Herausforderungen Europas. Sie sind nicht viel mehr als eine Mikrokorrektur der unterentwickelten Sozialstaatlichkeit Europas.   mehr

Stichwort zur Wirtschaftspolitik: Das VW-Gesetz

von Arne Heise

Mit der Gründung des Volkswagenwerkes in der Nähe von Fallersleben – dem heutigen Wolfsburg – im Jahr 1938 gaben die Nazis vor, ihr Versprechen von der Volksmotorisierung einzulösen. Träger der Volkswagenwerk GmbH war die Deutsche Arbeitsfront, die 1933 vor allem mit dem Vermögen der aufgelösten, freien deutschen Gewerkschaften gegründet worden war. In die Errichtung des Volkswagenwerkes floss also reichlich und vornehmlich gewerkschaftliches Vermögen. Nach Kriegsende wurde die Volkswagen GmbH, die zwischen 1939 und 1945 nur wenige Volkswagen des Konstrukteurs Ferdinand Porsche, aber viel militärisches Gerät für die Wehrmacht produzierte, unter britische Militärverwaltung gestellt. 1949 übertrug die britische Militärverwaltung die Volkswagen GmbH an die neu gegründete Bundesrepublik als Treuhänderin und das Land Niedersachsen als Verwalter.   mehr

Gewerkschaften auf dem Weg

von Bernd Lange

Trotz aller verständlicher Aufregung über die vier jüngsten und in der Tat empörenden EuGHUrteile (Viking, Laval, Rüffert, Luxemburg) sind die Gewerkschaften gut beraten, die Wegbeschreibung in der EU solide zu entfalten. Zweifelsohne ist eine marktradikale Kursänderung der Politik in der EU in den letzten Jahren zu verzeichnen, die zu einer deutlichen Schlagseite geführt hat. Dieser Kurs ist Ausfl uss der politischen Mehrheiten und ergibt sich nicht zwangsläufi g aus der EU oder den EUVerträgen, hat aber natürlich auch Rückwirkungen auf die Rechtssprechung des EuGH.   mehr

80 Jahre Klassenkampf. Zur Geschichte der SPW nach 1928

von Thilo Scholle

Die Geschichte der Sozialdemokratie und der politischen Linken in der Weimarer Republik insgesamt spiegelt sich auch in unzähligen Publikations- und Zeitschriftenprojekten. Neben der parteioffiziellen Presse, meist mit nur kleinen Auflagen verkauft, übten sie doch Einfluss auf die politische Diskussion der Zeit aus. Auch heute noch bieten sie einen faszinierenden Einblick in die damaligen politischen Debatten sowie in die intellektuelle und programmatische Entwicklung der politischen Linken zwischen den beiden Weltkriegen. Zugleich wird das Wirken der radikalen politischen Linken und ihrer Zeitschriften auch im Kontext der Suche nach den Gründen für das Scheitern der Weimarer Republik betrachtet. Innerhalb des Kontextes der Sozialdemokratie spielte sich die Kritik am Status Quo der Republik sowohl am linken wie auch am rechten Rand der Partei ab.
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Kurzum

von Horst Peter

Wirtschafts-, arbeits und sozialpolitische Handlungsspielräume im europäischen Mehrebenensystem

von Hans-Jürgen Bieling

Die Europäische Union wird seit einigen Wochen und Monaten zum Teil recht scharf kritisiert. Im Zentrum steht der Europäische Gerichtshof (EuGH), der durch einige Urteile die Geltungskraft einiger europäischer Grundsätze und Rechtsakte gleichsam übergriffi g zu Lasten nationalstaatlich garantierter Grundrechte, Gesetze und Verfahren ausgedehnte. Die sozial orientierte Kritik an der extensiven Auslegung marktliberaler Freiheits- und Wettbewerbsrechte – so etwa in den Fällen Vicking, Laval und Rüffert (vgl. Höpner 2008, Scharpf 2008) – weist darauf hin, dass in der EU die Beschneidung nationaler Gestaltungsräume sukzessive voranschreitet, die demokratische Legitimation politischer Entscheidungen beeinträchtigt wird und auch die Möglichkeiten einer sozialintegrativen Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik eingeengt werden.   mehr

Zwei Schwestern in Europa. Die deutsche und niederländische Sozialdemokratie im 19. und 20. Jahrhundert

von Marc Drögemöller

Doppelgängerinnen sind sie nie gewesen. Aber ihre politischen Parallelen blieben stets unübersehbar: Die deutsche und niederländische Sozialdemokratie, SPD und Partij van de Arbeid (PvdA), pfl egen bis heute ein enges nachbarschaftliches Verhältnis zueinander. Durch die Nähe ihrer beiden Länder bot sich den Schwesterparteien eine gemeinsame Kulisse, die sie dank der gleichen ideologischen Herkunft und der langen Tradition der gegenseitigen Kontakte zu beleben wussten.   mehr

Es geht nicht um ein paar Millionen mehr fürs Zivile - Plädoyer für einen echten Strategiewechsel

von Thomas Gebauer

Demokratie lässt sich auch in Afghanistan nicht militärisch erzwingen. Umso mehr verwundert, wie sich die Berliner Politik den Ratschlägen der Friedensforschung verschließt. Statt endlich den Weg für eine neue Afghanistan- Politik frei zu machen, hat der Bundestag für die Verlängerung der militärischen Option und sogar eine Truppenaufstockung und zusätzliches Kriegsgerät entschieden.   mehr

Gerechte Verteilung auch in Zeiten der Finanzmarktkrise aktuell!

von Wolfgang Rhode

Die Weltwirtschaft ist im Bann der Finanzmarktkrise. In dieser Situation wird die IG Metall für ihre Lohnforderung von acht Prozent kritisiert. Haben sich die Koordinaten jetzt so verändert, dass Verteilungsfragen für die wirtschaftliche Entwicklung an Bedeutung verloren haben? Richtig ist, die Unsicherheit hat zugenommen. Das liegt aber nicht nur an der Finanzmarktkrise, sondern auch am normalen Konjunkturverlauf. Das schreiben ausdrücklich auch die Institute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose. An der Stelle haben wir in Deutschland aber weiterhin ein ganz besonderes Problem: Weil der  Anteil der Löhne am Volkseinkommen immer weiter schrumpft, fehlt es an Kaufkraft für den privaten Konsum. Die ArbeitnehmerInnenentgelte sind seit 2003 gerade mal um magere 2,9 Prozent gestiegen – und damit netto und real sogar gesunken –, während die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um über 40 Prozent angestiegen sind. mehr

Für ein Grundrecht auf Bildung!

von Swen Schulz

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 heißt es in Artikel 26 Abs. 1: „Jeder hat das Recht auf Bildung.“ Doch was ist mit dem Grundgesetz? Ein Grundrecht auf Bildung ist nicht klar formuliert. Es wird zwar ein Recht auf Bildung aus allgemeinen Verfassungssätzen des Grundgesetzes abgeleitet, ist aber notwendig allgemein und nur wenig hilfreich bei der Durchsetzung von konkreten Anliegen.   mehr

Nationale Steuer souveränität im grenzenlosen Binnenmarkt???

von Susanne Uhl

Irgendwie sind es merkwürdige Zeiten. Die Finanzkrise zieht Kreise von Staat zu Staat und kennt keine nationalen Grenzen. Gleichzeitig wird an vielen Stellen im Staat so getan, als könne und wolle man im Wesentlichen nationale Antworten fi nden – sowohl auf die derzeitige Krise, als auch im Hinblick auf das Danach. Diese paradoxe Haltung hat – auch steuerpolitisch – Tradition: Einerseits wird so getan, als hätte man ausreichend nationalen Gestaltungsspielraum, sowohl den Alltag als auch die Krisen zu bewältigen. Andererseits aber kann man faktisch nichts Anderes tun, als europäisch zusammenzuarbeiten, um sich überhaupt Gestaltungsspielraum zu eröffnen. Faktisch auch jetzt in der Krise. Es gewinnt nationale Souveränität zum Nutzen einer nationalen Politikgestaltung interessanterweise nur wirklich zurück, wer viel davon gezielt nach Europa abgibt. Und? Ist das schlimm? Nein. Kein Stück.   mehr

Literaturschau

von Nils Hindersmann, Stefan Stache

Personen und Positionen

5 Fragen an ... Mechthild Jansen

von Mechthild Jansen

Mechtild Jansen, in Köln aufgewachsen, studierte Psychologie, Pädagogik, Politik und Sozialwissenschaften in Tübingen, Bonn und Bremen. 1975 bis 78 war sie Vorsitzende des Sozialistischen Hochschulbundes (SHB). Aus der SPD, unter Egon Bahr, wurde sie damals ausgeschlossen, weil sie sich auf einer u.a. vom Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit organisierten Kundgebung gegen den von Helmut Schmidt initiierten Nato-Doppelbeschluss engagierte. Danach war Mechtild Jansen auf  Bundesebene als Initiatorin, Sprecherin verschiedener Frauen- und Friedens-Initiativen oder Mitglied von Koordinationskreisen aktiv. Nach Tätigkeiten in Forschung und Publizistik ist sie seit Ende der achtziger Jahre ausschließlich freiberufl ich als Sozialwissenschaftlerin, Publizistin, Autorin tätig. Vor allem in den 90er Jahren prägten ihre Bücher „Differenz und Gleichheit“, „Halbe-Halbe. Der Streit um die Quotierung,“ und „FrauenWiderspruch“ maßgeblich die feministischen Diskussionen im Juso-Bundesverband. Es schlossen sich „Das Claudia Nolte Phänomen“ und „Das Diana-Phänomen und der dritte Weg“ an. Mechtild Jansen lebt seit 2002 in Berlin.   mehr

Kinderspiel Kapitalismus: Frauenabend mit Beule

von Gesa Rünker

„Ihr holt sie erst um 17.00 Uhr aus dem Kindergarten? Na ja, wenn ihr das müsst – aber gut ist das sicher nicht.“ Suse, engagierte Geschäftsführerin des Eine-Welt-Ladens „FÜR ALLE“ und Schulpfl egschaftsvorsitzende, ist sehr skeptisch und sehr teilnahmsvoll, und spätestens jetzt wird mir klar: Die Einladung zum Frauenabend hätte ich nicht annehmen dürfen... mehr