Ausgabe: spw 168

Staat, Wettbewerb, Selbstverwaltung - Wie organisiert man soziale Sicherheit?

Einleitung zum Heftschwerpunkt

Die Diskussionen der letzten Jahre um Sozialpolitik waren meist auf Verteilung und Umverteilung zugespitzt worden: Wer finanziert die sozialen Sicherungssysteme, wer bekommt Leistungen? Vor allem anhand dieser Fragen wird auch über Grundsicherung und über die Bürgerversicherung diskutiert. Die Frage, wie
soziale Sicherheit organisiert sein sollte, tritt dahinter zurück. Allenfalls bei der Alterssicherung wurde diskutiert, ob umlagefinanzierte öffentliche
Systeme oder kapitalgedeckte private Systeme vorzuziehen seien.


Mit der Finanzmarktkrise sollten sich zumindest die Argumente radikaler BefürworterInnender Privatisierung erledigt haben.Doch geht es auch bei der Alterssicherung nicht nur darum, dass soziale Sicherheit nicht über riskante Anlagen vermittelt werden kann. Wichtig ist auch, dass für Sicherungsziele weniger Mittel zur Verfügung stehen, wenn noch die Renditeansprüche des Versicherers zu befriedigen sind und dass der Wettbewerb der Anbieter privater Alterssicherung kaum geeignet ist, Transparenz über Mittel und Ergebnisse ihrer Angebote zu vermitteln.

Auch ist aus deutschen und internationalen Vergleichen bekannt, dass private Systeme der Alterssicherung wegen des Aufwands für Werbung und Vertrieb weit höhere Verwaltungskosten haben als öffentliche Pflichtsysteme. Die öffentliche Förderung der privaten Altersvorsorge nach der Riester-Reform zeigt sich dabei als wenig funktional, um Altersarmut zu vermeiden. Sie erreicht im Wesentlichen die ohnehin vorsorgefähigen besser gestellten Rentenversicherten und BeamtInnen anstatt armutsvermeidende Rentenpolitik innerhalb des allgemeinen Systems zu finanzieren. Staatliche Fördermittel sind in die Kapitalmärkte und zur Mittelschicht gepumpt worden, statt die Rentenlücken von Niedrigverdienern und Arbeitslosen zu schließen.

Artikel

Einleitung zum Schwerpunkt: Staat, Wettbewerb, Selbstverwaltung – wie organisiert man soziale Sicherheit?

von Kai Burmeister, Felix Welti

Es wäre unzureichend, die Alternative zur Organisation sozialer Sicherheit auf die Frage „Staatlich oder privat?“ zu verkürzen. Nicht jede öffentliche Form der sozialen Sicherheit ist staatlich. Die meisten Sozialleistungsträger in Deutschland sind nicht Teil der unmittelbaren Staatsverwaltung, sondern als Sozialversicherungsträger in sozialer Selbstverwaltung, als Fürsorgeträger zumeist in kommunaler Selbstverwaltung organisiert. Gewerkschaften und Sozialdemokratie haben sich traditionell prägend in der Gestaltung dieser Systeme beteiligt. Nicht jede privatrechtliche Einrichtung der sozialen Sicherheit ist profi torientiert. Tarifl ich oder betrieblich vereinbarte betriebliche Altersvorsorge ergänzt die gesetzliche Rentenversicherung, geprägt von den Tarifparteien. Gemeinnützige Dienste und Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände sind relevant für Krankenversorgung, Pfl ege, Rehabi litation und Teilhabe behinderter Menschen sowie Kinder- und Jugendhilfe... 

mehr

Inhalt Heft 168

pro/contra Erbschaftssteuerkompromiss

von Florian Pronold, Claus Matecki

Neue Kraft der sozialökologischen Idee

von Alexander Bercht, Dr. Ernst Dieter Rossmann

Das Jahr 2008 war das Jahr der Mathematik. Dies galt nicht nur für das diesjährige Wissenschaftsjahr. Es war auch das Jahr der politischen Mathematiker, die rechnerisch versucht haben, dem entstehenden 5-Parteien-System Struktur zu verleihen und Machtperspektiven abzutrotzen. Dabei war absehbar: Angesichts der ungeliebten Großen Koalition musste zwischen den Mathematikern der Macht Streit darüber entbrennen, welche dritte Kraft man zu einer anvisierten Rot-Grün-Plus-Alternative denn hinzu bitten möge. Politisch hat dieser Streit für die SPD allerdings bisher wenig abgeworfen, außer der klammheimlichen Freude bei Merkel & Co., dass ihre Orientierungslosigkeit in wichtigen Zukunftsfragen durch die sozialdemokratischen Farbspielereien verdeckt werden konnte... mehr

Risiken und Nebenwirkungen des Gesundheitsfonds

von Thomas Gerlinger, Kai Mosebach, Rolf Schmucker

Am 1. Januar 2009 tritt der Gesundheitsfonds in Kraft, das Kernstück des von der großen Koalition im Frühjahr 2007 beschlossenen „Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKVWSG). Der Fonds ist Ergebnis eines gesundheitspolitischen Kompromisses der Regierungsparteien, deren unterschiedliche Reformvorstellungen hinsichtlich der künftigen Finanzierung der GKV (Bürgerversicherung vs. Kopfprämie) nicht miteinander vereinbar waren. Das Modell des Gesundheitsfonds ist von verschiedener Seite, nicht zuletzt von den Krankenkassen, heftig kritisiert worden. Dennoch beharrte die Bundesregierung auf dessen Konstruktionsprinzipien und auf dem Zeitplan für seine Einführung...   mehr

Bundestagswahl 2009: neue Verteilungsgerechtigkeit notwendig

von Dierk Hirschel, Knut Lambertin

Der letzte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung kommt zu dem Er gebnis, dass die Einkommensunterschiede weiter zugenommen haben. Gleichzeitig wirkt der Sozialstaat. Ohne staatliche Umverteilung würden zwei von fünf BürgerInnen dieser Republik in Armut leben... mehr

Zwischen autoritärer und partizipatorischer Demokratie

von Horst Peter, Michael Vester

Das „neoliberale Modell Deutschland“ der SPD-Führung ist in der Krise Sechs Thesen von Horst Peter und Michael Vester

1. Die politische Blockierung nach der Hessenwahl von 2008 war kein Problem von Personen, sondern von Flügelkämpfen. Eine Gleichschaltung der Parteifl ügel hindert die Parteien, die Vielfalt und den Wandel der Wählermilieus hinreichend zu repräsentieren und zu mobilisieren...

mehr

Kommunale Politik für sozialen Zusammenhalt

von Dr. Joachim Schuster

Der letzte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung belegt eindeutig: Die soziale Spaltung ist in den letzten Jahren erheblich gewachsen. Die Einkommensspreizung nimmt zu. Dieser zunächst abstrakte Befund ist vor allem in den großen Städten zu spüren. Die Stärkung des sozialen Zusammenhaltes wird damit eine zentrale politische Aufgabe... mehr

Unsere Solidarkassen werden dereguliert – wir können sie retten!

von Wolfgang Wodarg

Seit 16 Jahren steht unsere gesetzliche Krankenversicherung (GKV) unter dem Druck eines internen Wettbewerbs. Noch sind es über 200 Kassen, die ums Überleben kämpfen. Alle Kassen müssen die gleichen gesetzlichen Leistungen bieten. Immer zahlreicher wurden aber die Möglichkeiten, wie sie dieses organisieren...   mehr

Kurzum

von Thomas Westphal

Mit Kanonen auf Piraten schießen

von Nils Annen

Noch vor Weihnachten soll sich der Deutsche Bundestag mit der EU-geführten Ope ration ATALANTA zur Bekämpfung der Pira terie vor der Küste Somalias befassen. Vor dem Hintergrund immer spektakulärerer Überfalle auf Frachtschiffe sollte der Antrag der Bundesregierung jedoch nicht als Abschluss einer Debatte mit außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischer Reichweite betrachtet werden. Vielmehr sollte der Einsatz von See- und Seeluftstreitkräften als Anlass genommen werden, um die Ursachen dieses wachsenden Phänomens anzugehen... mehr

„New Deal“ statt „ruhige Hand“

von Björn Böhning

Es sind schon merkwürdige Zeiten. Die Weltwirtschaft erlebt die erste globale Krise des vernetzten Finanzmarktkapitalismus, und die politischen Akteure machen den Eindruck, als ob diese Krise mit ein wenig – sicherlich gelungenem – Management sowie den konjunkturpolitischen Rezepten der 90er Jahre beherrschbar wäre. Festhalten an der Haushaltskonsolidierung, „Politik der ruhigen Hand“ und moderate Entlastungen sollen den Konjunkturmotor wieder auf Trab bringen. Doch immer mehr Menschen und ÖkonomInnen dämmert es: Mit einem konjunktur- und industriepolitischen „Klein-Klein“ kommen die europäische und die deutsche Volkswirtschaft nicht auf einen neuen Wachstumspfad. Angesichts der Unbeschreibbarkeit der Krise, der unglaublich rasanten Talfahrt in die Rezession, wird deutlich, dass neben einem neuen globalen Ordnungsrahmen für Weltwirtschaft und Finanzmärkte auch die ökonomische Basis insgesamt auf eine neue Grundlage gestellt werden muss... mehr

Leistungssteuerung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): Vorfahrt für den Unternehmenswettbewerb oder für eine runderneuerte Selbstverwaltung?

von Bernard Braun

Seit dem Gesundheitsstrukturgesetz von 1993 ist politisch gewollt, die gesetzlichen Krankenkassen in konkurrierende Unternehmen auf einem Versicherungsmarkt umzuwandeln. Dies wurde durch wesentliche Bestimmungen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) 2004, des Wettbewerbsstärkungsgesetzes 2007 und des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung aus 2008 forciert. Krankenkassen können danach ab dem 1. Januar 2010 Insolvenz anmelden, wenn keine Kapitaldeckung mehr vorhanden ist. Insolvenzfähig waren bisher nur Kassen unter Aufsicht des Bundes wie beispielsweise die DAK, die BEK oder die TKK. Jetzt sollen bei einer Pleite einer Krankenkasse unter Landesaufsicht nicht mehr die Bundesländer haften. In Zukunft sollen die Krankenkassen der jeweiligen Kassenart einspringen, im allergrößten Notfall soll es dann auch fi nanzielle Hilfen aller im Spitzenverband Bund organisierten Kassen geben, unter anderem durch mögliche Fusionen... mehr

Rezession und die deutsche Politikberatung

von Arne Heise

Die Konjunkturaussichten für Deutschland sind wieder einmal trüb. Es ist noch nicht lange her, als der Wirtschaftsexperte Frank- Walter Steinmeier mit der einigermaßen günstigen Beschäftigungsentwicklung in Deutschland ein neues Wirtschaftswunder kommen sah, da steht Deutschland vor der wahrscheinlich größten ökonomischen Herausforderung seit den 1930er Jahren. Gewiss muss man gerechterweise sagen, dass Deutschland auch in den Strudel der internationalen Finanzkrise geraten ist, dessen Ausgangspunkt die Immobilienkrise der USA ist – doch zeigt sich nirgendwo, dass Deutschland besser auf die zu erwartende Rezession vorbereitet wäre als andere, ebenso betroffene Länder. Im Gegenteil: Die fast ausschließliche Stützung des deutschen Wachstums der jüngeren Vergangenheit durch die starke Stellung der deutschen Exportwirtschaft macht Deutschland nun umso anfälliger für die internationale Krise... mehr

Wenn Eltern abends in die Schule gehen ...

von Alexandra Kramm

Wenn die Kinder in die Schule kommen, beginnt der Ernst des Lebens – auch für die Eltern. In der Kita, da mussten sie ab und zu basteln oder Kuchen backen, eventorientierte Unterstützung eben. Mit der Schule wird alles anders. Jetzt wollen sie mitreden, was mit ihrem Kind geschieht. Es geht schließlich um die Zukunft. Zu diesem Zwecke wurde die Elternarbeit erfunden. Schon der Begriff suggeriert Anstrengung, Schweiß und Tränen. Mit Recht. Denn Elternarbeit ist die Kunst, ambitionierte Ziele für das eigene Kind im „Das nützt-allen-Kindern-Mantel“ zu erreichen: Chor singen als Gruppenerlebnis oder Entspannung zur besseren Konzentration. Die Wünsche der Eltern sind so vielfältig wie ihre Kinder. Die Strategien zum Erreichen der Ziele ebenso...
mehr

Investieren in lebenslanges Lernen! Aber wer soll das bezahlen?

von Günther Schmid

Dass mehr in lebenslanges Lernen zu investieren ist, gehört heute zum Katalog aller politischen Programme. Einigkeit besteht auch in den demografi schen, technologischen, wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Begründungen für eine solche Politik. Aber wer soll das bezahlen? In dieser Frage unterscheiden sich die Geister. Zu ihrer Klärung ist zunächst einmal Verständigung darüber zu erzielen, welche Menschen dabei besondere Förderung brauchen. Dann ist zu prüfen, wie eine faire Kosten- und Verantwortungsteilung zwischen Individuen, Betrieben und Staat aussehen könnte. Die Finanzierung löst jedoch nicht alle Probleme. Auch Zeit und Motivation sind erforderlich, und die ungleiche Verteilung dieser Ressourcen hemmt den notwendigen Quantensprung des lebenslangen Lernens. Darum stellt sich am Schluss die Frage, was Politik zur Beseitigung auch dieser Engpässe beitragen könnte... mehr

Interview mit Thorsten Schulten: Von einer verteilungspolitischen Wende kann keine Rede sein

von Thorsten Schulten

spw: In den Jahren 2004 bis 2007 mussten die Beschäftigten Reallohnverluste hinnehmen, die tarifl ichen Steigerungen lagen teilweise unter der Infl ationsrate. Markiert das Jahr 2008 eine verteilungspolitische Wende? „Thorsten Schulten: Von einer verteilungspolitischen Wende kann keine Rede sein...
mehr

5 Fragen an ... Oliver Kaczmarek

von Oliver Kaczmarek

Oliver Kaczmarek, Jahrgang 1970, studier te Geschichte und Sozialwissenschaft in Bochum und hat die die politische Arbeit von vielen Seiten aus kennen gelernt. Sein politisches Engagement begann in den 80er Jahren in der SchülerInnenvertretung. 1988 ist er dann in die SPD eingetreten. Von 1995 bis 1999 war er Mit glied im Juso-Bezirksvorstand Westliches Westfalen und arbeitete 2000-2003 als Jugendbildungs referent der Jusos NRW, so dass er auch auf Bundesebene die Politik der Juso-Linken mitgestaltet hat. In der SPD übernahm er u.a. die Funktion des stellvertretenden Vorsitzenden und Bildungsbeauf tragten im Kreis Unna und im Ortsverein Kamen-Mitte. Seit 1990 ist Oliver Mitglied des Ortsvereinsvorstands und hat sich außerdem seit 2005 als Unterbezirksvorsitzender in Unna und seit 2006 als Mitglied im Landesvorstand der NRW-SPD einen Namen gemacht. Er ist ebenso Mitglied der spw-Redaktion (seit 2000). Zurzeit arbeitet er als Referent im Schulministerium NRW und lebt in Kamen. mehr

Personen & Positionen