Ausgabe: spw 247
Gewerkschaftliche Erneuerung jenseits von Schockstarre und Niedergang
Einleitung zum Heftschwerpunkt
In dieser Weihnachtszeit haben die Paketboten mit den Auslieferungen von Amazon und Zalando alle Hände voll zu tun. Beim Einkauf vergessene Lebensmittel liefert schnell noch der Gorillas-Fahrer an die Haustür. Und in Grünheide rollen die ersten Teslas vom Band. Amazon, Gorillas und Co. mögen von den Konsument:innen durch die rosarote Brille betrachtet werden, weniger rosig sieht es hingegen mit den Arbeitsbedingungen und Rechten ihrer Beschäftigten aus. Nach dem Weihnachtsgeschäft werden viele Beschäftigte bei den Versandhändlern schlicht wieder entlassen.Die neuen Player der Plattformökonomie sind – bislang – keine Hochburgen der gewerkschaftlichen Stärke und es wird zu einer Schlüsselfrage der gewerkschaftlichen Erneuerung, ob und wie die Durchsetzung gewerkschaftlicher Wirkungsmächtigkeit bei den symbolträchtigen Playern der 2020er Jahre gelingen wird oder eben nicht.
Artikel
Inhalt Heft 247
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Fortschritt gibt es nur mit gesellschaftlichen Auseinandersetzungen
„Mehr Fortschritt wagen“, das verspricht der Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung in Berlin. Und auf dem Sonderparteitag der SPD hat Olaf Scholz die Messlatte nochmals höher gehängt. Demnach soll mit der neuen Regierung ein Aufbruch gelingen, der vergleichbar mit dem Aufbruch der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt 1969 ist. Es geht ihm um die Schaffung eines neuen gesellschaftlichen Konsenses. Und es solle eine Regierung werden, die freundschaftlich zusammenarbeitet und die wiedergewählt werden will.
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Machtressourcen, Nachhaltigkeit und die strategische Wahl der Gewerkschaften
Von Gewerkschaften war über viele Jahre wissenschaftlich nur als Krisenphänomen die Rede. Anspruch des in Jena entwickelten Machtressourcenansatzes war es, das zu ändern. Ohne die Repräsentationskrise der Gewerkschaften zu leugnen, betonten wir die Möglichkeit von strategic choice. Gewerkschaften haben, so unsere ursprüngliche Annahme, selbst wenn sie mit dem Rücken zur Wand agieren müssen, eine strategische Wahl. Sie können verfügbare Machtressourcen optimal kombinieren oder Quellen von Lohnabhängigenmacht versiegen lassen. Zwischen beiden Polen gibt es eine Vielzahl an strategischen Optionen, die den Gewerkschaftsaktiven selbst in schwierigen Situationen Handlungsmöglichkeiten eröffnen.
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Mehr als eine ökologische Modernisierung - Industrielle Naturverhältnisse als Ausgangspunkt gewerkschaftlicher Umweltpolitik
In Konflikten um Arbeit und Natur werden gewerkschaftliche Perspektiven häufig vernachlässigt oder ihre Positionen kritisiert. Mitunter beschuldigen umweltpolitisch motivierte Akteure Gewerkschaften, ökologische Fragen nicht angemessen in ihre Agenda zu integrieren und damit globale sozial-ökologische Ungleichheiten zu zementieren. Es wird als politisch unverantwortlich angesehen, dass Gewerkschaften für den Erhalt von Industrien kämpfen, die einen massiven Einfluss auf den Klimawandel und andere Modi ökologischer Zerstörung haben.
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Angestelltenarbeit zwischen Büro, mobiler Arbeit und Home-Office - Neue Formen und Aktionsfelder gewerkschaftlicher Arbeit
Der Koalitionsvertrag der Ampel setzt nur wenige Leitplanken für mobile Arbeit und Home-Office Arbeit. Die ebenso abrupte wie letztlich effektive Etablierung von Home-Office Arbeit und die Aneignung neuer, digitaler Kommunikationsformen in der Pandemie eröffnet deshalb für die gewerkschaftliche Betriebs- und Humanisierungspolitik ein neues Terrain mit komplexen, widersprüchlichen Interessenlagen bei Beschäftigten wie Management.
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Künstliche Intelligenz und der Wandel der Arbeitswelt: Erste Befunde einer empirischen Analyse
In der Diskussion um die digitale Transformation von Wirtschaft und Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren insbesondere der Einsatz von „Künstlicher Intelligenz“ (KI) und „Machine Learning“ zu einem ausstrahlungskräftigen Thema entwickelt. Nach Jahrzehnten der Grundlagenforschung stehe nun – so die KI-Analysten – das „Implementation-Age“ (Lee 2018) bevor. Die Beispiele reichen von der digitalen Fertigung einer Industrie 4.0 über die Automatisierung von Verwaltungs- und Bürotätigkeiten (Stichwort: „Robotic Process Automation“) bis hin zur Algorithmen-gestützten Diagnostik in der modernen Medizin. Der öffentliche und politische Diskurs (siehe dazu Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz 2020; DGB 2019) verläuft grob zwischen drei Positionen: Einer (weitgehend unkritischen) Betonung der Potenziale und Verheißungen der neuen Technologie steht eine Position gegenüber, die vor allem die Risiken akzentuiert.
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Gewerkschaftliche Erschließung als strategische Reaktion auf die Transformation der Arbeitswelt
Die Erschließung neuer Mitglieder und vormals weißer Flecken ist für Gewerkschaften die (lebens-)notwendige Voraussetzung für alles Weitere. Der zugegeben sperrige Begriff „Erschließung“ beschreibt nichts anderes als das, worum es Gewerkschaften immer ging und gehen wird: Mitgliederstärke und somit „Organisationsmacht“ (Schmalz/Dörre 2014) zu erlangen und auszubauen für eine durchsetzungsstarke Politik im Interesse der Beschäftigten. Mit den 2015/16 deutschlandweit gestarteten, neunjährigen „Erschließungsprojekten“ hat die IG Metall auf absehbar weitreichende, strukturelle Veränderungen und Herausforderungen in ihrem Organisationsbereich reagiert. Das Motiv der Projektinitiator:innen auf eine kurze Formel gebracht: Nicht alles aber doch sehr vieles sollte sich verändern, damit die IG Metall eine durchsetzungs-, konfliktstarke und folglich zukunftsfähige Mitgliederorganisation bleibt.
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Da hilft auch kein neues Ministerium – Digitalisierung findet auf dem Shopfloor statt
Die Digitalisierung soll in Betrieben zu besseren Arbeitsergebnissen oder höherer Effizienz führen – in der Theorie. In der Praxis dauern viele Digitalisierungs- und Industrie 4.0-Projekte zu lange, führen zu innerbetrieblichen Konflikten oder werden aus den verschiedensten Gründen gestoppt. Digitalisierung – als bewusst eingeschlagener Technologiepfad – ist sehr viel mehr als die Einführung neuer Hard- und Software. Gerade der Zusammenhang von neuen technischen Lösungen und Veränderungen der Arbeitsorganisation wird häufig unterschätzt. Erfolgreiche Digitalisierungsprojekte berücksichtigen über die Technik hinaus die Perspektive der Beschäftigten und der Arbeitsorganisation – gemäß dem Konzept des „soziotechnischen Systems“ als umfassendem Blick auf Arbeitssysteme mit Menschen, Technik und der Arbeitsorganisation. Damit findet die betriebliche Digitalisierung letztlich auf dem Fabrikboden statt (bzw. den Teppichböden von Büroetagen).
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Vielfältige Belegschaften und gewerkschaftliche Identität(en)
Vegane Kantine statt Kraftriegel der Facharbeiter. Was vor kurzem wie eine skurrile Volte im üblichen Empörungssturm der Social-Media-Debatten für belustigtes Aufsehen sorgte, hat einen nicht unerheblichen Kern. Auf den verschiedensten gesellschaftlichen Handlungsfeldern erleben wir zerfasernde, symbolisch aufgeladene und zunehmend konfliktäre Debatten um Vielfalt, Diversität und Identitäten. Ein wesentlicher Nährboden hierfür ist der gesellschaftliche Wandel der vergangenen Jahrzehnte: weg von der nivellierten Mittelstandsgesellschaft, hin zu gesellschaftlicher Ausdifferenzierung, Individualisierung oder auch Singularisierung, die sich auch in den Belegschaften unserer Organisationsbereiche widerspiegelt. Diese Differenzierung kann identitätspolitisch aufgeladen werden und damit Konflikt- und Spaltungslinien aufzeigen bzw. aufzeichnen.
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Teilhabe, Partizipation und Solidarität im Bildungsbereich müssen verteidigt werden!
Im gesamten Bildungsbereich erleben Beschäftigte seit Jahren, dass immer mehr Aufgaben übernommen werden müssen. Diese Aufgaben kommen zu den bereits bestehenden Herausforderungen hinzu, ohne dass es an anderer Stelle Entlastungen gibt. Dies führt zunehmend zu großen Arbeitsbelastungen für die Kolleginnen und Kollegen und für die Arbeit der Gewerkschaften.
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Stärkung des Tarifvertragssystems – was bringen die Vorschläge der neuen Bundesregierung?
Zur Zukunft des Tarifvertragssystems in Deutschland formuliert die neue Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag ein eindeutiges Bekenntnis: „Wir wollen die Tarifautonomie, die Tarifpartner und die Tarifbindung stärken, damit faire Löhne in Deutschland bezahlt werden.“ Die Forderung scheint unter den politischen Parteien weitgehend unumstritten. Bereits in den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl finden sich bei den meisten Parteien mehr oder weniger ausführliche Forderungen zur Stärkung des Tarifvertragssystems. Lediglich bei der FDP herrschte hierbei bislang eine weitgehende Leerstelle. Auch die Gewerkschaften sowie verschiedene Wissenschaftler:innen haben umfangreiche Maßnahmenkataloge zur Förderung der Tarifbindung vorgelegt.
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Der (gar nicht mehr so) lange Schatten der Disruption - Wie Produktionsarbeitende auf die digitale Transformation schauen
Die digitale Transformation ist seit geraumer Zeit in aller Munde (Hirsch-Kreinsen 2020). Insbesondere der Umbau der Industrie genießt erhebliche wissenschaftliche und politische Aufmerksamkeit. Geprägt wurden die Diskussionen vom Topos der „Disruption“, der der Digitalisierung das Potenzial eines radikalen Umbaus von Geschäftsmodellen, Produkten, Produktionsprozessen und Arbeitsorganisationen zuschreibt (Staab 2019). Vor dem Hintergrund des erwarteten disruptiven Charakters der Digitalisierung wurden die Debatten über die Auswirkungen auf Produktionsarbeit von dystopischen und utopischen Szenarien dominiert. Erstere gehen davon aus, dass die digitale Transformation mit einer Substitution menschlicher Arbeit, intensivierter Kontrolle und beschränkten Entscheidungsspielräumen einhergeht, letztere prognostizieren die Befreiung von körperlich belastenden und monotonen Tätigkeiten (Heßler 2016, Buss et al. 2020).
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„Helden“ oder Arbeiter*innen? Systemrelevanz und die Perspektive gesellschaftlicher Arbeit
Aus dem (alltags-)politischen Diskurs zur Corona-Krise ist der Begriff der „Systemrelevanz“ (oder auch der „essential“ oder „key workers“) nicht mehr wegzudenken. In unzähligen Foren, Dokumentationen und Zeitschriftenartikeln wird über „Systemrelevanz“ diskutiert; darüber, was es bedeutet, wer dazu gehört, ob es (einem selbst) wichtig ist, und welche Konsequenzen diese Charakterisierung hat – oder auch nicht. Bekanntermaßen gab es teilweise selbst organisierte, teilweise staatlich unterstützte Applauskampagnen für die essential workers (Clap for Carers, Tous a la Fenêtre u. a.), sowie Ansprachen mit Dankesworten seitens hochrangiger Staats- und Regierungsvertreter*innen (Angela Merkel, Frank Walter Steinmeier, Emmanuel Macron...). Hinzu kamen dann von kommunalpolitischer oder Unternehmensseite symbolische Gratifikationen, wie (relativ geringe) einmalige Boni oder kleine Präsente (Süßigkeiten).
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Was wäre eine linke Klimapolitik?
Die Frage zielt ins Zentrum der ungeklärten Probleme einer Strategie der Linken. Welches Verständnis von Politik ist angesichts der fundamentalen Zivilisationskrise notwendig, die der Klimawandel aufgeworfen hat? Ich plädiere in diesem Beitrag für eine grundsätzliche Besinnung auf das Politische, um eine angemessene Antwort auf die Fragen zu finden, die uns die ökologische Zivilisationskrise stellt. Ich will begründen, warum uns die ökologische Krise zu der Erkenntnis zwingt, dass das bisherige Wirtschafts- und Konsummodell des demokratischen Kapitalismus gescheitert ist.
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„Ich bin ein Land der unbeschränkten Möglichkeiten“: Rosa Luxemburg
Heute fast eine Heilige der Linken weltweit, war sie zu Lebzeiten heftig umstritten. Eine Studierte, Theoretikerin, blitzgescheit, gebildet, charismatisch, polemisch, witzig und furchtlos, eine klein gewachsene Jüdin polnischer Herkunft, eine emanzipierte, selbstbestimmte Frau, ein Graus für viele in der deutschen Sozialdemokratie, wo sie dennoch Karriere machte. Berühmt wurde sie, weil sie als junge, freche Ausländerin einen Veteranen des Marxismus wie Eduard Bernstein heftig zu attackieren wagte. Sie ging auch den marxistischen Theoriepabst Karl Kautsky an und sie erlaubte sich sogar eine fulminante Marx-Kritik. Sie scheute sich nicht, Lenin und die Politik der Bolschewiki in Russland gnadenlos zu kritisieren. Zeitlebens und auch nach ihrem Tod von Mörderhand im Januar 1919 hatte sie Ärger mit den marxistischen bzw. leninistischen Autoritäten.
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