Ausgabe: spw 244

Systemfragen des Gesundheitswesens

Einleitung zum Heftschwerpunkt

Zu den wichtigsten politischen Erfahrungen der Pandemie zählt, dass Gesundheits- und Krankheitschancen sozial gebunden und ungleich verteilt sind, dass es im deutschen Gesundheitswesen nicht an Markt, sondern an Plan und Vernetzung mangelt, und dass der öffentliche Gesundheitsdienst und die bevölkerungsbezogene Gesundheitsforschung substanziell gestärkt werden müssten. Weiteren Fragestellungen aus der Pandemie wird sich spw in einer politischen Bilanz der Corona-Krise widmen. Dazu gehört die Rolle der gesellschaftlichen Kommunikation über Gesundheit. Zu diskutieren wird dann auch sein, in wie weit und warum in links-alternativen Milieus Positionen anschlussfähig sind, die mit Impfgegnerschaft, Homöopathie und Wunderglauben sowie Sozialdarwinismus gegen störende „Risikogruppen“ eine extreme Individualisierung von Gesundheit und einen aggressiven Diskurs gegen Wissenschaftlichkeit und Professionalisierung betreiben. In diesem Schwerpunkt greifen wir verschiedene Aspekte der Pandemie erneut auf, richten den Blick aber darüber hinaus auf die neuen Normalitäten, die das deutsche Gesundheitswesen in der kommenden Wahlperiode annehmen wird und sollte.

Artikel

Inhalt Heft 244

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Einleitung zum Heftschwerpunkt: Systemfragen des Gesundheitswesens

von Uwe Kremer, Felix Welti, Stefan Stache

Kurzum spw 244

von Stefan Stache

Den Sound in der Politik verändern

von Jessica Rosenthal

Wie ein Beben ging das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes durch die politische Landschaft der Bundesrepublik: Das Klimaschutzgesetz verstößt gegen die Generationengerechtigkeit. Es war die Judikative, die mit diesem Urteil der jungen Generation zu ihrem Recht verholfen hat. Schnell stellten sich Fragen – was heißt das für die Rente? Was für andere politische Bereiche? mehr

Interview: „Das linke Lager in Israel ist mit dieser Regierung äußerst zufrieden“

von Uri Zaki

spw: Eine Dachkoalition aus acht Parteien hat in Israel eine neue Regierung ohne Benjamin Netanjahu bilden können. Die politischen Widersprüche scheinen aus unserer Perspektive gewaltig zu sein. Was hält diese Allianz zusammen außer dem Aspekt, eine Regierung ohne Likud zu bilden? 

Uri Zaki: Zunächst muss ich betonen, dass die Motivation nicht darin bestand, den Likud als Partei auszuschließen, sondern vielmehr Herrn Netanjahu. Nach zwölf aufeinanderfolgenden Jahren im Amt und im Schatten seines Strafprozesses begann Netanjahu, die Grundlagen der israelischen Demokratie zu bedrohen. mehr

Die französische Linke nach den Regionalwahlen

von Thilo Scholle

Die Ergebnisse der Regionalwahlen in Frankreich am 20. und 27. Juni zeigen: Die Sozialistische Partei (PS) konnte die von ihr bislang dominierten fünf (von insgesamt 17) Regionen verteidigen und ist wieder stärkste Kraft im linken Lager – allerdings weiterhin auf niedrigem Niveau. Knapp dahinter liegen die französischen Grünen („Europe Écologie Les Verts“, EELV), während die Partei Jean-Luc Mélenchons „La France insoumise“ (LFI) nur in den Überseegebieten Erfolge erzielen konnte. Der mittlerweile unter dem Namen „Rassemblement National“ (RN) antretende ehemalige „Front National“ blieb hinter seinen eigenen Erwartungen zurück und erlangte in keiner Region eine Mehrheit. Völlig abgestürzt ist die Präsidentenbewegung „La Republique en Marche“ (LREM), die es in einigen Regionen noch nicht einmal in den zweiten Wahlgang schaffte. Dramatisch schlecht war die Wahlbeteiligung mit etwa 35  Prozent in beiden Wahlgängen. mehr

Risiken und Nebenwirkungen eines profitgetriebenen Gesundheitswesens

von Dierk Hirschel

Im Kampf gegen Corona musste unser Gesundheitssystem seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. In den Kliniken machten Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger und Reinigungskräfte einen aufopferungsvollen Job und retteten viele Leben. Dafür gab es großen Applaus. Die Pandemie zeigte jedoch auch die Grenzen eines zunehmend auf Profit getrimmten Gesundheitswesens auf.
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SPD-Gesundheitsprogrammatik aus Perspektive der Linken

von Hilde Mattheis

Unser Gesundheitswesen ist weltweit eines der teuersten und eines der komplexesten. Wir rühmen uns immer noch dafür, dass die Gesundheitsversorgung für alle auf hohem Niveau garantiert wird, ignorieren dabei aber eine Entwicklung, die vor allem seit 1990 massiv vorangetrieben wurde: Im Gesundheitswesen hat Wirtschaftlichkeit Vorrang. Die in der Bevölkerung verankerte Grundüberzeugung, dass die Versorgung bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit keine Ware ist, wurde davon verdrängt. mehr

Gute Gesundheitsversorgung für alle – ist gut versorgt auch gut für die Gesundheit?

von Andreas Wulf

Trotz des aktuellen globalen Fokus auf Pandemiebekämpfung sollten die strukturellen Fragen globaler Gesundheitsdienste nicht aus dem Blick geraten. Flächendeckende, an den Bedürfnissen von Patient*innen orientierte Gesundheitsversorgung ist mit den „Nachhaltigen Millenniumszielen“ zum Leitbegriff in den globalen Gesundheitsdiskussionen geworden. Einmal mehr zeigt sich in der Krise, wie schlecht unterfinanzierte und stark privatisierte Gesundheitssysteme in der Lage sind, auf eine globale Pandemie zu reagieren. mehr

Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention

von Thomas Gerlinger

Das Interesse an einer Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit und damit auch von Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention ist spürbar gestiegen. Dieses Handlungsfeld hat in den letzten Jahren eine Reihe von Verbesserungen erfahren und ist zugleich durch fortbestehende Mängel und vielfältige Unterlassungen gekennzeichnet. Ein wichtiger Grund für die gestiegene Bedeutung von Public Health für die Gesundheitspolitik ist die Erwartung, durch eine verbesserte Bevölkerungsgesundheit Sozialausgaben begrenzen und Produktivitätspotentiale erschließen zu können. Grenzen findet diese Sozialinvestitionsstrategie dort, wo Bevölkerungsgesundheit und mit hohem Durchsetzungspotenzial verbundene ökonomische Interessen im Widerspruch stehen. mehr

Gesundheitsschutz und Gesundheitsversorgung: Lehren aus der Coronapandemie -Abstract

von Cornelia Heintze

Der Beitrag thematisiert die Lehren, die das Entstehen und der bisherige Verlauf der COVID-19-Pandemie für die Öffentliche Gesundheit in der weltweiten wie nationalen Dimension bereithalten. Hinter der aktuellen Gesundheitskrise verbirgt sich mit der Ökosystemkrise (Verlust an Biodiversität, Klimakrise etc.) eine Krise weit größeren Ausmaßes. Sie beinhaltet das Potential, dass Pandemien in immer kürzerer Zeit auftreten, wenn, statt echte Vorsorge zu betreiben, nach der Pandemie zum „business as usual“ zurückgekehrt wird. mehr

Geld im Gesundheitswesen: Zum Problem der Vergütung von Arztpraxen und Krankenhäusern

von Hartmut Reiners

Fabio De Masi (2021) hat in der Begründung seines Abschieds aus dem Bundestag die in der politischen Linken grassierende Praxis kritisiert, „Politik nur noch über Moral und Haltung zu debattieren“. Diese Attitüde ist in der Gesundheitspolitik besonders verbreitet, in der eine verworrene Debatte über die Ökonomisierung der Medizin geführt wird mit der Tendenz, das Gesundheitswesen als möglichst „ökonomiefreie Zone“ zu postulieren. Keine Frage, moralische Aspekte spielen im Gesundheitswesen eine wichtige Rolle. Die Warnung vor einer Überlagerung der Medizin durch Profitinteressen ist berechtigt. Das Problem ist nur, dass die Behandlung von Krankheiten sich zu einem expandierenden Wirtschaftszweig entwickelt hat, in dem in Deutschland aktuell fast sechs Millionen Erwerbstätige 11,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erwirtschaften.  mehr

Politik, Ökonomie und was noch? – Zur Notwendigkeit, die politische Ökonomie des Gesundheitswesens zu erweitern

von Bernard Braun

Das Gesundheitswesen in Deutschland ist nicht nur eines der wenigen sozialen Systeme, mit dessen Gesundheitsversorgungsangeboten große Teile der Bevölkerung mehr oder weniger oft und intensiv von der Wiege bis zur Bahre zu tun haben, sondern auch einer der größten Wirtschafts-, Beschäftigungs-, Wertschöpfungs- und Politikgestaltungsbereiche. mehr

Gesundheit und Recht: reformierendes, retardierendes oder reaktionäres Moment?

von Felix Welti

Wenn Reformen des Gesundheitswesens diskutiert werden, kommt irgendwann die Rede auf Recht, Verrechtlichung, auf ein rechtlich gegliedertes System. Es zeigen sich Widersprüche: Einerseits ist Recht Fluchtpunkt fast jeder Reformdebatte: Wer verändern will, will sein Anliegen in einem Gesetz verewigen: Recht als Instrument der Reform. Andererseits wird vielen Ideen entgegengehalten, sie seien „aus rechtlichen Gründen“ nicht zu realisieren: Recht als retardierendes Moment, vielleicht sogar als reaktionäres, weil es etablierte Positionen zu schützen scheint. Aber ist das so? Ist gewachsene rechtliche Regulierung eine eigenständige Fessel produktiver Kräfte? Oder ist „Das geht aus rechtlichen Gründen nicht“ eine zu sich selbst und anderen höfliche Umschreibung von „Das haben wir schon immer so gemacht und wollen es auch nicht ändern“, also nur ein Schleier ökonomischer und bürokratischer Interessen? Sind der Armen Rechte und der Reichen Pflichten noch immer nur leere Worte oder haben sich die Sozialgesetze der letzten 140 Jahre zu jenen Schranken des freien Marktes entwickelt, als die sie dessen Verfechter sehen? mehr

Was heißt sozialistische Politik und Wirtschaft?

von Andrea Lange-Vester

Was verbindet ihr mit sozialistischer Politik und Wirtschaft?
Auf diese Frage antworten die neuen Herausgeber*innen der spw an dieser Stelle in der
vorliegenden und den folgenden Ausgaben

Sozialistische Politik und Wirtschaft muss aus meiner Sicht mit der permanenten Arbeit verbunden werden, die verborgenen Mechanismen von Macht und Herrschaft in unserer Gesellschaft offenzulegen und zu verstehen, um sie bewusst durchbrechen und Veränderungen hin zu mehr Gleichheit in den Bildungs- und Lebenschancen, zu Autonomie, Selbstbehauptung und Anerkennung der sozialen Milieus ermöglichen zu können. 

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Stichwort Wirtschaftspolitik: Globale Mindeststeuern für Großkonzerne – Ende des ruinösen Steuerwettbewerbs?

von Arne Heise

Die aktuelle Zahl: 2,9 mal mehr geben die einkommensstärksten Paare für ihr Kind aus als die einkommensschwächsten Paare

von Michael Reschke

Diskriminierung verboten: Frauenrechte sind Menschenrechte

von Christa Randzio-Plath

Internationale Konventionen verpflichten alle UN-Staaten zur Durchsetzung von Menschenrechten, zu einer Antidiskriminierungspolitik, zur Gleichstellung von Frau und Mann und zu proaktivem Engagement zur Durchsetzung der Gleichberechtigung. In wenigen Verfassungen weltweit wurden bei der Gründung der UN die Frauenrechte respektiert. 2021 haben fast alle Staaten in ihren Verfassungen Gleichstellungsbestimmungen.  mehr

Rezension: Working Class – Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können

von Thilo Scholle

Sammelrezension: Die sozial-ökologische Transformation und ihre Konflikte

von Thilo Scholle

DL21 Aktuell

von Hilde Mattheis

Gesundheitsschutz und Gesundheitsversorgung: Lehren aus der Coronapandemie

von Cornelia Heintze

In ihrem Sondermemorandum „Solidaritätspakt zur Krisenbewältigung“ ist die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik Ende April 2020 auch auf die Herausforderungen eingegangen, die die Pandemie für das deutsche Gesundheitssystem bereithält. Zum damaligen Zeitpunkt stand ein eklatanter Mangel an Schutzausrüstungen und Schutzmaterialien sowie an fehlendem Personal in den Gesundheitsämtern im Vordergrund. Zu konstatieren war eine schlechte Vorbereitung. Zwei Betrachtungsebenen sind zu unterscheiden. Die erste Betrachtungsebene betrifft den Ursprung des Virus. WissenschaftlerInnen weisen schon länger darauf hin, dass wir an der Schwelle zu einem Zeitalter der Pandemien stehen, wo die Folgen der Klimakrise und die Folgen des Verlustes von Biodiversität wechselseitig ineinandergreifen. mehr

Corona als Herausforderung und Chance für lokale Politik

von Steffen Jähn

Die Corona-Pandemie stellt weltweit noch immer Regierungen und Gesellschaften vor enorme Herausforderungen. Offen ist dabei, welche der teils sehr massiven Auswirkungen der Krise die sozialen Verhältnisse in den kommenden Jahren weiterhin prägen werden. Auf der Ebene von Städten und Quartieren werden soziale Auswirkungen der Krise besonders deutlich. Allerdings gibt es dort wichtige Impulse für die Bewältigung der Krise und ihrer Folgen. mehr

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