Ausgabe: spw 231
Moderner und solidarischer Wohlfahrtsstaat
Einleitung zum Heftschwerpunkt
Nach einer längeren Phase des Konjunkturaufschwungs und der Haushaltsüberschüsse hat der Finanzminister ein Ende der „fetten Jahre“ angekündigt. Zwar sind die öffentlichen Investitionen angestiegen, bleiben jedoch weit hinter den gesellschaftlichen Bedarfen zurück. So dürfte der Rückgang der Steuereinnahmen durch eine schwächere Konjunktur mit der vollen Wirkung der Schuldenbremse zusammenfallen, die den Bundesländern ab dem Jahr 2020 die Aufnahme neuer Kredite verbietet. Angesichts der in Teilen krisenhaften Infrastrukturlücke steht somit eine verschärfte Debatte um die Wohlfahrtsstaatlichkeit bevor. Zu lange wurde neben der sozialen auch die ökonomische Bedeutung des Sozialstaates unterschätzt.Artikel
Inhalt Heft 231
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Chance verpasst: Dieses Urheberrecht bleibt in der Vergangenheit stecken
Die Reform des EU-Urheberrechts bietet falsche Antworten für eine veränderte digitale Welt. Sie zementiert stattdessen die Rechte von großen Verwertern und nur einem kleinen Teil der Urheber. Trotzdem werden wir mit diesen Regeln über Jahre leben müssen.
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Die SPD lässt die Fahne der Solidarität wieder wehen
Auf der Jahresauftaktklausur im Februar dieses Jahres stimmte der Parteivorstand der SPD einstimmig für das sozialpolitische Zukunftsprogramm „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit. Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“ (SPD 2019) und beschloss damit zur offensichtlichen Freude von Parteichefin Andrea Nahles und anderen Parteilinken die Abkehr von der 2005 eingeführten Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), umgangssprachlich Hartz IV. Während der vergangenen Wochen wurde das Reformprogramm unter höchst unterschiedlichen Perspektiven diskutiert und kommentiert, wobei insbesondere Fragen der Finanzierbarkeit und Zukunftsfähigkeit des Sozialstaates im Zentrum standen. Die von der SPD erhoffte gesellschaftspolitische Debatte ist jedoch ausgeblieben.
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Der Sozialstaat der Beschäftigten
Die Debatte um die Zukunft des Sozialstaats kennt viele konkurrierende Vorschläge. Hinter diesen stecken differierende Gerechtigkeitsvorstellungen und handfeste Interessen, die auch zu unterschiedlich abgegrenzten Zielgruppen sozialpolitischer Interventionen führen. Liberale Ansätze konzentrieren sich auf die Ärmsten der Gesellschaft und überlassen die über das Notwendigste hinausgehende Absicherung der privaten Initiative der Individuen einerseits, gewinnorientierten Anbietern von entsprechenden Leistungen andererseits. Neben Ansätzen, die auf eine Begrenzung oder sogar auf einen Rückbau des Sozialstaats abzielen und die häufig mit Verweis auf die zu hohen Kosten sozialer Sicherung und Sorge um den „Standort Deutschland“ garniert werden, wird in jüngere Zeit immer wieder auf das bedingungslose Grundeinkommen als mögliche Alternative zum aktuellen Sozialstaat hingewiesen.
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Sozialstaat 4.0 – sicher, gerecht und selbstbestimmt
Die aktuelle Aufgabe des Sozialstaates ist es, den grundlegenden Wandel von Wirtschafts- und Arbeitswelt solidarisch zu gestalten sowie vielfältiger und brüchiger werdende Lebensläufe abzusichern. Wie an jeder Weggabelung des Lebens geht es dabei nicht nur um Sicherung oder Mindestsicherung, sondern immer auch um Chancen, Wahloptionen und Selbstbestimmung. Ein Sozialstaat, der Sicherheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle schafft, ist auch zukünftig nur mit starken und gut verankerten Gewerkschaften zu bewerkstelligen. Gewerkschaften schaffen mit eigenen Mitteln Sicherheit. Und Gewerkschaften sichern Selbstbestimmung, weil sie – unter direkter Beteiligung der Adressaten – kollektive Regelungen für individuelle Entscheidungen aushandeln können.
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Vom Recht auf neue Chancen – Digitalisierung verlangt die Neuorganisation von Bildungsphasen
Bernd ist Auto-Mechaniker, 46 Jahre alt. Er liebt seinen Beruf. Als junger Mann hatte er einen Opel-Manta, mit Fuchsschwanz. Sein Auto hat er selbst repariert. Mit dem Rücken unter dem aufgebockten Wagen liegend, auch mal in einer Öllache, den Geruch des Öls in der Nase, und den des Benzins. Er liebt es sogar, sich nach getaner Arbeit das Öl mit Kernseife von den Händen zu schrubben, manchmal braucht er fast ein halbes Stück Seife dazu. Sein Hobby hat er zum Beruf gemacht.
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Deutschlands unabsichtliches soziales Wachstum
Unter Sozialstaat sei hier die Gesamtheit aller staatlichen Institutionen und Leistungen verstanden, die einerseits durch Zahlungen Einkommensausfälle aufgrund von Lebensrisiken wie Krankheit, Alter oder Arbeitslosigkeit ausgleichen, andererseits direkt die Wohlfahrt erhöhen, indem sie Leistungen wie Erziehung, Bildung, Gesundheit und Pflege zur Verfügung stellen. Finanzierung und Organisation unterscheiden sich von Land zu Land. Die international vergleichende politische Ökonomie hat verschiedene Typologien des Wohlfahrtsstaates und der durch sie gekennzeichneten Kapitalismusvarianten entwickelt.
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Der Wert der Wohlfahrt: ein Blick zurück, nach vorn
Zu den Besonderheiten des deutschen Sozialstaates zählt, dass er zu großen Anteilen eben nicht „Staat“ ist. Neben den öffentlich-rechtlich organisierten, aber selbstverwalteten Sozialversicherungen sind es dabei die in sechs Spitzenverbänden organisierten Vereine und Dienste der Freien Wohlfahrtspflege, die das Soziale in Deutschland seit fast einem Jahrhundert wesentlich mitgestalten. Allein dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem nach den kirchlichen Verbänden drittgrößten Wohlfahrtsverband, gehören über 10.050 selbstständige Mitgliedsorganisationen an, darunter so mitgliederstarke Organisationen wie der Arbeiter-Samariter-Bund mit 1,3 Millionen Mitgliedern und der Sozialverband VdK mit 1,9 Millionen Mitgliedern.
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Ein Sozialstaat für das 21. Jahrhundert
Nach dem Zweiten Weltkrieg stritten die deutschen Gewerkschaften für einen Ausbau des Sozialstaats. Da der Kapitalismus auf parlamentarischem Weg nicht überwunden werden konnte, sollte er zumindest politisch gezähmt werden.
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Care-Ökonomie ins Zentrum einer solidarischen Sozialpolitik rücken
Sorge ist eine elementare Voraussetzung des Lebens. Menschen sind grundlegend aufeinander angewiesen. Nicht nur im Kindesalter, sondern ein Leben lang bedürfen Menschen der Unterstützung anderer. Wichtig für ein gutes Leben sind deswegen gelingende Sorgebeziehungen. Doch wir leben in einem auf Konkurrenz aufgebauten Wirtschaftssystem, in dem beinahe ausschließlich beruflicher Einsatz als Leistung anerkannt und belohnt wird. Die Arbeit von Personen dagegen, die sich in der unentlohnten familiären oder nachbarschaftlichen Sorgearbeit mit sehr viel Zeit und mit großer Verantwortung um andere sorgen, bleibt unsichtbar und erfährt viel zu wenig finanzielle Unterstützung.
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Zwangsrekrutierungen während des Zweiten Weltkriegs in Europa – ein in Deutschland vergessenes Kriegsverbrechen?
Während führende Vertreter der AfD eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordern oder die nationalsozialistische Gewaltherrschaft mit ihrer systematischen Vernichtungspolitik als „Vogelschiss“ verharmlosen, eitern die Wunden auch über 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg weiter. Jüngst gab es erneut einen Vorstoß des belgischen Parlaments, der sich gegen die Auszahlung von Versorgungsleistungen von Seiten der Bundesrepublik Deutschland für ehemalige freiwillige Mitglieder der Waffen-SS und Kollaborateure in Belgien wendet.
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Alte Zöpfe neu flechten
Vor über 110 Jahren träumten Arbeiterinnen und Arbeiter in Deutschland vom „sozialdemokratischen Zukunftsstaat“. Die in großen Teilen geknechteten, ausgebeuteten Werktätigen fassten ihre Zukunftserwartungen und Hoffnungen 1904 – Jahre vor dem gesetzlich festgeschriebenen Achtstundentag oder dem bezahlten Urlaub – in einer Maizeitung zusammen: „Sind es Arbeiter nicht, welche Lokomotiven und Schiffe bauen? Ihnen gehorcht der Dampf, die elektrische Kraft und gebändigt das Feuer und Wasser! Einst werden sie auf eignen Wagen fahren, mit eignen Schiffen touristisch die Meere durchkreuzen! […]“ (Unbekannter Verfasser 1904, zitiert nach Achten 1980).
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Genossin mit Courage – Alwine Wellmann
Das Wahlrecht für beide Geschlechter zählt zu den überschaubaren Fortschritten der deutschen Novemberrevolution: Am 30. November 1918 lässt der aus MSPD und USPD zusammengesetzte Rat der Volksbeauftragten jenen Meilenstein deutscher Demokratiegeschichte offiziell verkünden. Zudem wird das Wahlalter von 25 auf 20 Jahre gesenkt. Frauen, aber auch junge Menschen in ihrer Gesamtheit sind es in den folgenden Jahren, die sich insbesondere in der organisierten Arbeiterbewegung neue Betätigungsfelder erschließen.
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