Ausgabe: spw 230
Europa anders machen – Sozialunion statt Marktunion!
Einleitung zum Heftschwerpunkt
Europawahlen. Alle fünf Jahre ein ähnliches Ritual: die Parteien kramen ihre guten Absichtserklärungen für die Europapolitik hervor und reden sonst viel über Innenpolitisches. Nach dem Wahlgang wird unisono die niedrige Wahlbeteiligung bedauert – und dann geht es zur Tagesordnung über, die EU muss sich auf der politischen Agenda weit hinten einreihen. Ist es diesmal anders? Durch den Auftrieb der Rechtspopulisten in den letzten Jahren versichern viele Politikerinnen und Politiker, bei der Wahl des Europäischen Parlaments im Mai 2019 gehe es um eine Richtungsentscheidung, um eine Schicksalswahl, um die Zukunft des Kontinents.
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Ole Erdmann, Björn Hacker, Stefan Stache
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Mary Kaldor
Die Labour-Partei ist die ‚Remain‘-Partei. Eine am Vorabend des Parteitags 2018 durchgeführte YouGov-Umfrage hat gezeigt, dass 90 Prozent der Labour-Mitglieder für einen Verbleib in der Europäischen Union stimmen würden, sollte es zu einem zweiten Referendum kommen, und dass 86 Prozent ein solches Referendum befürworten. Labour-WählerInnen sind ebenfalls überwiegend für einen Verbleib und von denjenigen, die beim ersten Referendum für den Austritt gestimmt haben, hält eine Mehrheit andere Themen für wichtiger. Auch Momentum, die Bewegung, die 2015 von Corbyn-AnhängerInnen ins Leben gerufen wurde, hat seine Mitglieder vor Kurzem befragt und dabei festgestellt, dass diese mit großem Abstand einen Verbleib in der EU befürworten.
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Francois Dubet
Die Wut, der Zorn, die Empörung, die Blockaden und die Gewalt, die stetige Uneinigkeit, die unterschiedlichen und vielfach widersprüchlichen Forderungen, Hass auf die Herrschenden, die Eliten und die Medien, überholte Parteien und Gewerkschaften… Auf den ersten Blick erinnern die Gelbwesten an die „Jacqueries“ und die volkstümlichen „Emotionen“ im Ancien Règime, an die Hungerrevolten, an die Pariser Kommune, an den Mai 68, an all die Aufstände, die das „System“ infrage stellten und die traditionellen politischen Mechanismen und Akteure übergingen.
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Dietmar Köster
Die weltweite Zunahme von sozialer Ungleichheit und Armut ist eine der zentralen Ursachen für Flucht und Migration. Die EU-Handelspolitik hat hierzu beigetragen. Ein Europa der Solidarität muss seine Handelspolitik grundlegend ändern, wenn die Länder des Globalen Südens eine Chance für wirtschaftliche Prosperität erhalten sollen. Dazu kann eine mutige sozialdemokratische Politik an einer wachsenden Bereitschaft für Solidarität der Bürger*innen in Europa anknüpfen.
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Kilian Wegner, Julian Zado
12,50 Euro pro Quadratmeter – so viel müssen Berlinerinnen und Berliner bezahlen, wenn sie in Berlin in halbwegs zentraler Lage eine Wohnung suchen. Ein Mietendeckel auf Landesebene könnte dazu beitragen, den Mietenwahnsinn zu stoppen. Dieses Instrument wird erst seit dem 18. Februar 2019 politisch und öffentlich diskutiert und hat das Potential, den mietenpolitischen Stillstand auf Bundesebene zu durchbrechen.
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Nikolaus Kowall
Ist die Europäische Union ein Hebel für sozialen Fortschritt? Dies ist eine der im progressiven Spektrum am heißest umstrittenen Fragestellungen. Skeptische ZeitgenossInnen können auf die marktliberale Schlagseite verweisen, die der Durchsetzung des Binnenmarktes und der Währungsunion, sowie der Orchestrierung der Eurokrise, zweifelsfrei anhaften. Für OptimistInnen bietet der Verweis auf die Vergangenheit hingegen wenig Argumentationsstoff. Sie müssen vielmehr mit den künftigen Möglichkeitsräumen eines europäischen Projekts argumentieren. Räume, die sich erst durch deren politische Adressierung performativ öffnen müssten.
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Dominika Biegon
Der Europawahlkampf nimmt langsam Fahrt auf. Die ersten politischen Parteien haben sich bereits auf ihr Wahlprogramm verständigt, andere arbeiten mit Hochdruck daran. Der Parteivorstand der SPD hat im Dezember ein Eckpunktepapier zur Europawahl verabschiedet, dieses wurde durch einen Beschluss der SPD-Bundestagsfraktion im Januar ergänzt. Auch innerhalb der Gewerkschaften in Deutschland ist die Diskussion zur Europawahl im vollen Gange. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in einem Positionspapier sehr ausführlich Stellung bezogen und seine europapolitischen Forderungen an die Parteien gerichtet.
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Björn Hacker
Europakritische Positionen, die eher auf Desintegration als auf politische Neugestaltung und Weiterentwicklung der EU setzen, finden sich mitnichten nur in den Reihen der Rechtspopulisten. Die nach rechts erweiterten und zugleich eine argumentative Engführung betreibenden neuen Diskursframes und Sprachbilder finden ihren Niederschlag auch aufseiten der politischen Linken. Sie werden befeuert von einer öffentlich zelebrierten, letztlich den Rechtspopulisten in die Hände spielenden Gewissensprüfung zur Befürwortung oder Ablehnung der europäischen Integration. Die Europawahlen 2019 werden so zu einer »Schicksalswahl« hochgejazzt, in der unter der binären Entscheidung zwischen »mehr« oder »weniger« Europa die Sachprobleme des Kontinents verschüttet werden.
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Willi Koll, Andrew Watt
Im Anschluss an die globale Wirtschaftskrise hat die Europäische Währungsunion eine zweite massive Krise erlitten. Die Wirtschaft geriet nach dem tiefen Einbruch 2009 nun in eine „double-dip“-Rezession. Die Verschuldungsproblematik in Griechenland und anderen Mitgliedstaaten drohte außer Kontrolle zu geraten. Die Arbeitslosigkeit stieg in den südlichen Mitgliedstaaten erneut stark an. Eine deflationäre Spirale stand bevor. Nur die verspäteten, dann aber energischen Aktionen der Europäischen Zentralbank sowie die ebenfalls verspätete Abkehr von der ruinösen Austeritätspolitik konnten eine größere Katastrophe verhindern.
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Gesine Schwan
spw: In der EU wird seit 2015 das Thema Migration und Migrationsregulierung sehr kontrovers diskutiert. Warum eigentlich erst seitdem? Hat der Staatenverbund die Gestaltung des Politikfelds nach Schengen und dem gemeinsamen Binnenmarkt verschlafen?
Gesine Schwan: Ja, das hat er. Das Problem in der Politik ist generell, dass man oft sehr kurzfristig und kurzsichtig verfährt und erst auf Druck reagiert. Und gerade in der Flüchtlingsfrage hat die Politik in Deutschland immer ohne längerfristige Planung und Konzept agiert. Man hätte in der EU und in Deutschland vor dem Hintergrund des Syrienkriegs natürlich längst vorher wissen müssen, dass Flüchtlingsbewegungen bevorstehen.
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Ernst Dieter Rossmann
„Die Einheit von Forschung und Lehre“, wie sie der große preußische Universitätsgründer Wilhelm von Humboldt im 19. Jahrhundert propagiert hat, ist bis in die Gegenwart hinein gewiss ein schönes Ideal. Es erzählt die Geschichte von einer überschaubaren Gemeinschaft der aus eigener Forschung heraus Lehrenden und der über Teilhabe an dieser Forschung Lernenden. Die Wirklichkeit der modernen Hochschulen kennt diese Einheit auch jetzt noch, indem die Hochschulen als Institution der akademischen Berufsbildung zugleich immer noch die bedeutendsten Forschungskapazitäten in der deutschen Wissenschaft umfassen.
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Helmut Martens
Nach dem Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008 haben nicht nur prominente wissenschaftliche Beobachter wie etwa Jürgen Habermas (2008) von einer Zeitenwende gesprochen oder, wie Paul Krugman (2009) angesichts einer drohenden neuen Weltwirtschaftskrise mit der Wiederkehr von Keynes gerechnet. Für kurze Zeit konnte man das Wort von der Zeitenwende hierzulande sogar aus dem Mund führender Politiker hören – und der Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber (2010), versuchte, eine Debatte über einen Kurswechsel für Deutschland anzustoßen.
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