Ausgabe: spw 227

Von der Partei der Arbeiter zur Partei der Arbeit – Fragen zum politischen Subjekt der Sozialdemokratie

Einleitung zum Heftschwerpunkt

Der Wandel der Klassengesellschaft ist seit Jahrzehnten Gegenstand soziologischer und politisch-strategischer Diskussionen, insbesondere auf Seiten der gesellschaftlichen Linken. Ausgehend von den verheerenden Wahlergebnissen des Jahres 2017 wird in der SPD wieder vermehrt darüber diskutiert, welche gesellschaftlichen Gruppen sie überhaupt repräsentiert und mit welchen Anspracheformen – das heißt, mit welcher Sprache, an welchen Orten und mit welchen Formaten – und welchen programmatischen Inhalten sie diese Gruppen erreichen kann.

Artikel

Inhalt Heft 227

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Einleitung zum Schwerpunkt: Von der Partei der Arbeiter zur Partei der Arbeit – Fragen zum politischen Subjekt der Sozialdemokratie

von Ole Erdmann, Gordian Ezazi, Katharina Oerder, Stefan Stache

Kurzum spw 227

von Uwe Kremer

Die Linke muss zuerst die Gesellschaft zurückerobern, nicht allein die Regierung

von Luciana Castellina

Für viele, zumindest für alle, die sich an das „jüngste“ vergangene Jahrhundert erinnern, muss die Niederlage der italienischen Linken bei den Wahlen vom 4. März überraschend gewesen sein. Denn Italien konnte über viele Jahrzehnte mit Linkssein gleichgesetzt werden : Hier hat die stärkste (und beste) westliche kommunistische Partei gewirkt– mit fast zwei Millionen Mitgliedern und einem Stimmenanteil um die 30 Prozent. Und auch wenn die Partei nie an der Regierung war, hat sie dennoch dank ihres Engagements und ihrer Hegemonie aus der Opposition heraus zum Besten beigetragen, was in Italien je auf demokratischer und sozialer Ebene erreicht wurde. mehr

Haft ohne Tat? Warum die „Vorbeugungshaft“ eine Gefahr für die Freiheit ist

von Folke große Deters

Die Angst vor dem Terrorismus macht es möglich. Lange sicher geglaubte rechtsstaatliche Standards werden aus den Polizeigesetzen der Länder entfernt. Trauriger Höhepunkt ist die Einführung einer „Vorbeugungshaft“. Worum geht es? Bisher diente der Polizeigewahrsam dazu, in konkreten Notsituationen eine kurze Inhaftierung zur Gefahrenabwehr zu ermöglichen. Der Standardfall ist der stark Betrunkene, der zum Schutz für sich und für andere die Nacht in der Ausnüchterungszelle verbringen muss. Absolute Höchstdauer in Nordrhein-Westfalen sind nach geltendem Polizeirecht 48 Stunden, in Bayern galten bis zum letzten Jahr zwei Wochen. Diese Zwei-Wochen-Frist war seinerzeit im Vergleich der Bundesländer schon ein sehr bedenklicher Ausreißer nach oben. Aber die Maßstäbe haben sich drastisch verschoben. mehr

Das „ratlose Seufzen“ der Sozialdemokratie – was man mit sozialen Milieus erklären kann und was nicht

von Gordian Ezazi

Im Auftrag des SPD-Parteivorstandes haben Umfrageinstitute mehr als 5.000 Menschen nach ihren politischen Präferenzen und gesellschaftlichen Einstellungen befragt. Fazit: Die Spannweite der sozialen Milieus, in denen die SPD verankert ist und auf Wählerstimmen hoffen darf, ist groß; so groß wie bei keiner anderen Partei. Gunter Hofmann von der Wochenzeitung „Die Zeit“ resümiert: „Als die Demoskopen dem Vorstand der Partei in Klausur die Resultate [der Milieu-Studie, G.E.] erläuterten, war die Reaktion einhellig: Ratloses Seufzen. Wie kann man so viel Auseinanderstrebendes unter einem Dach vereinen? Eine griffige Antwort haben weder Politiker noch Demoskopen. (…) mehr

Schieflagen eines Erfolgsmodells – Langfristige Verschiebungen und Spannungen in der Wirtschafts- und Sozialstruktur der BRD seit 1991

von Michael Vester

Viele Trenddiagnosen erwecken heute den Eindruck, dass wir eine gewaltige soziale Abstiegsbewegung oder eine Abstiegsgesellschaft erleben, in der den privilegierten 1 Prozent die benachteiligten 99 Prozent gegenüberstehen. Die Daten zur Ungleichheit bezeichnen allerdings nur statistische Maßzahlen. Die statistischen Einkommens- oder Vermögensklassen bezeichnen keine realen sozialen Klassen, deren Angehörige durch eine gemeinsame Geschichte, Erfahrung und Weltsicht miteinander verbunden sind und auf dieser Grundlage zu gemeinsamem Handeln mobilisiert werden könnten. Die Klassengliederung einer Gesellschaft lässt sich nicht unmittelbar aus der Höhe der Einkommen oder des Geldvermögens ableiten. Art und Umfang von Einkommen und Vermögen hängen nicht nur, aber überwiegend von der sozialen Position ab, von dem Ort in der sozialen Gesamtgliederung. mehr

Was wollen Arbeitnehmer*innen? – Ansprüche von Beschäftigten aus soziologischer Perspektive

von Wolfgang Menz, Sarah Nies

Welche Ansprüche formulieren Beschäftigte in der Arbeit und an die Arbeit? Auf diese Frage möchten wir im Folgenden Antworten suchen, die in gewisser Weise typisch soziologisch erscheinen mögen. Es geht uns nicht darum, Einschätzungen von Arbeitnehmer*innen zu konkreten arbeitsweltlichen Sachfragen – etwa zur Arbeitszeit, zur Vergütung, zur staatlichen Arbeitspolitik – darzustellen. Hierzu liefert die Meinungs- und Umfrageforschung in regelmäßigen Abständen interessante und verlässliche Ergebnisse, die repräsentativ für die Arbeitsbevölkerung sind. mehr

Arbeitssubjekt und gesellschaftliche Handlungsfähigkeit – Denkweisen und Alltagspraxen von Arbeiter*innen in ihrer politischen Dimension verstehen

von Stefanie Hürtgen

Die Frage nach dem subjektiv Politischen darf nicht einfach von gesellschaftlichen Strukturen und Diskursen auf die Konstitution der Subjekte „ableiten“. Sie muss letzteren analytisch eigenständigen Raum der Betrachtung in ihrer Auseinandersetzung mit ihren sozio-ökonomischen Handlungsbedingungen einräumen. Zur Debatte steht der „doppelte Konstitutionszusammenhang“ von Individuum und Gesellschaft (Geissler u.a. 1984; vgl. auch Dausien 2009). mehr

Aufstehen – gegen was, wofür und mit wem? Über populistische Bewegungen in der demobilisierten Klassengesellschaft

von Klaus Dörre

„Bist Du für oder gegen die neue, von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine initiierte Sammlungsbewegung?“, lautet die Frage, die innerhalb der gesellschaftlichen Linken gegenwärtig stark polarisiert. Wie immer man diese Frage beantwortet, eines muss man den Initiatorinnen und Initiatoren von „Aufstehen“ unumwunden zugestehen: obwohl noch nicht einmal feststeht, was „Aufstehen“ inhaltlich will, ist der publizistische Erfolg des Unternehmens schon jetzt beachtlich. Sieht man von erwartbaren Reaktionen ab, die einen Ego-Trip Wagenknechts und Lafontaines unterstellen, ein Repräsentationsdefizit im politischen System nicht erkennen wollen, programmatische Leere konstatieren, es für eine von oben initiierte Kopfgeburt halten und deshalb ein rasches Scheitern des Unternehmens prophezeien, sind die Reaktionen in der liberalen und selbst in der konservativen Presse erstaunlich offen. mehr

Eine Allianz für den sozialen Fortschritt – Gedanken zur politischen Mobilisierung einer solidarischen Mehrheit

von Marc Herter

Es mutet an wie ein Vorhaben aus einer längst vergangenen Zeit, eine solidarische Mehrheit für eine Politik des sozialen Fortschritts gewinnen zu wollen, denn aktuell erleben wir europaweit das Gegenteil: Mehrheiten lassen sich scheinbar spielend für antisolidarische, oftmals sogar antidemokratische Gesellschaftsprojekte gewinnen. Europas Rechte ist auf dem Vormarsch und die Linke wirkt seltsam paralysiert zwischen moralischem Zeigefinger und demonstrativem Protest auf der einen und geschmeidiger Anpassung an den scheinbaren Zeitgeist auf der anderen Seite gefangen. Ihr fehlt nicht nur ein politischer Entwurf, der über den Tag hinausreicht, auch das politische Subjekt scheint ihr gleichsam abhandengekommen. mehr

Arbeiterkultur versus Massenkultur? Historiographische Überlegungen

von Ursula Bitzegeio

Die derzeitige „politische Kultur“ Europas erfüllt Öffentlichkeit und Intellektuelle mit großer Sorge. Die Wahlerfolge rechtspopulistischer PolitikerInnen und „sprachliche Grenzüberschreitungen“ in der öffentlichen und politischen Debattenkultur, für die „Popbegriffe“ wie „fake news“ oder „Wutbürger“ stehen, verstärken Auffassungen und Einschätzungen, dass Demokratien und ihre Beteiligten im Begriff seien, sich selbst zu überwinden. In der Wissenschaft wird in den sogenannten post- oder neodemokratischen Ansätzen attestiert, dass die Bürger-Innen das „Vertrauen in Problemlösungskompetenz, Verantwortungsgefühl und Integrität“ der „politischen Eliten“ längst verloren haben.  mehr

Sammelrezension: Linkspatriotismus, Kosmopolitismus und Soziale Frage

von Thilo Scholle

Wie lässt sich der andauernde Misserfolg der Sozialdemokratie in Deutschland an den Wahlurnen erklären? Inspiriert durch die Diskussionen über die Situation der Demokraten in den USA kreist die Debatte im politischen Feuilleton hierzulande vor allem um die Frage, ob die Sozialdemokratie (und möglicherweise die politische Linke insgesamt) sich in den letzten Jahren nicht zu „kosmopolitisch“ positioniert und dabei Bedürfnisse nach sozialem Zusammenhalt und Solidarität vernachlässigt hätten – also stärker „kommunitaristische“ Positionen hätten einnehmen und vertreten sollen. Unklar bleibt dabei meist, ob sich diese Einschätzung vor allem auf die Schwerpunktsetzungen in der öffentlichen Kommunikation oder auch auf das tatsächliche politische Handeln beziehen. mehr

Stichwort Wirtschaftspolitik: Die ökonomischen Auswirkungen des Mindestlohns

von Arne Heise

Die aktuelle Zahl: 150.000 Arbeitsplätze

von Michael Reschke

Brexit-Phantasien im gespaltenen Königreich: Der Konservatismus in der Krise

von Nicholas Williams

Wer dieser Tage Post nach Großbritannien schickt, kann leicht in Versuchung geraten, als Land „Vereinigtes“ Königreich auf den Umschlag zu schreiben. Vermutlich war die Insel seit dem Bürgerkrieg bzw. der Revolution von 1642 – 1649 nicht mehr so zerrissen. Dies zeigt sich auch an den Positionen zum Thema Brexit, denn auch hier hat sich inzwischen folgender Debattenablauf etabliert: Sobald sich ein Vertreter eines der beiden Lager bei den Konservativen öffentlich äußert, finden sich in der eigenen Partei Kontrahenten, die öffentlich widersprechen. mehr

Der Prozess ist beendet, aber viele Fragen sind offen – der NSU-Komplex nach dem Urteil

von Fabian Bremer

Nach fast 450 Verhandlungstagen in über fünf Jahren ist der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte zu Ende gegangen. Jetzt liegt ein Urteil vor. Beate Zschäpe muss für einige Zeit ins Gefängnis. Die anderen Mittäter sind wieder auf freiem Fuß. Doch haben das Gerichtsverfahren und die politischen Aufarbeitungsversuche der Taten Licht in den undurchsichtigen NSU-Komplex gebracht? Und sind sieben Jahre nach der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ die beiden zentralen Fragen – „Wie konnte das geschehen?“ und „Kann es wieder geschehen?“ – abschließend beantwortet? mehr

„Den Grundgedanken der Demokratie, den Sozialismus retten“ (Hermann Brill) – zur verhinderten Neuordnung nach 1945

von Jörg Wollenberg

Die Kraft und der Einfluss von Brill reichten nach seiner Flucht aus der SBZ 1946 noch, um sein seit 1936 immer wieder propagiertes Ziel der „völligen Erneuerung des deutschen Volkes“, wenigstens in Ansätzen in der BRD zur Realität zu verhelfen. Brill setzte sich in Westdeutschland dafür ein, „die deutsche Schuld“ abzubauen. Am 9. März 1947 hielt er dazu in seinem Bremer Vortrag vor SPD-Funktionären fest: „Wir haben alle nicht frühzeitig genug und nicht ausreichend genug gegen die Nazis gekämpft.“ Deshalb gelte es, „das große Ziel, das sich die Verfassungspolitik stellen kann und muss“ voranzutreiben, nämlich „aus einer zerrütteten Gesellschaft den Grundgedanken der Demokratie, den Sozialismus zu retten, und schließlich so aus einer erschütterten Welt eine bessere Welt aufzubauen.“ mehr

Rezension: Jeanette Erazo Heufelder – Der argentinische Krösus

von Peter Reif-Spirek

Sammelrezension: Arbeiterbewegung zwischen Weimarer Republik, NS-Diktatur und früher Bundesrepublik

von Thilo Scholle

Rezension: Paul Levi – Linkssozialist – Rechtsanwalt – Reichstagsmitglied

von Kai Burmeister

DL 21 Aktuell: Wie schaffen wir die linke Alternative?

von Hilde Mattheis