Ausgabe: spw 222
Solidarische Arbeitsgesellschaft
Einleitung zum Heftschwerpunkt
In den vergangenen Jahrzehnten haben wir einen grundlegenden Wandel unserer Arbeitswelt und Gesellschaft erlebt. Auf der Ebene der sozialen Milieus lässt sich u.a. ein wachsendes Bedürfnis nach mehr Autonomie und Selbstbestimmung beobachten. Gestiegene Ansprüche an die demokratische Teilhabe am Arbeitsplatz und in der Politik geraten in weiten Teilen in einen Widerspruch zu den ökonomischen Dynamiken. Die moderne Arbeitnehmermitte be- und verarbeitet diese Spannung mehrheitlich nicht mit einer individualistischen Ellenbogenstrategie. Sie erlebt wachsenden Arbeitsdruck, Unsicherheit oder autoritäre Hierarchien vielmehr auch als Beschneidung ihrer materiellen und zeitlichen Ressourcen, die sie braucht, um ihren Arbeitsalltag demokratischer und solidarischer gestalten zu können.Artikel
Inhalt Heft 222
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Kurzum
Zu den wichtigsten Aufgaben gehört es heute, dass Selbstverständnis von Reformpolitik zu klären. Dazu möchte ich unterscheiden zwischen Reformen, die lediglich als Modifikationen im Grundsatz vorhandener Strukturen und Mechanismen dienen, und Strukturreformen, die auf einen grundlegenden Umbau von Strukturen und Mechanismen – im Gesundheits- und Sozialwesen, in der Stadt- und Raumentwicklung , in der Konzertierung von Infrastrukturinvestitionen, in der Strukturierung lokaler Arbeitsmärkte, in der digitalen Wissensökonomie usw. usf. – orientiert sind und alleine schon aufgrund sich ergebender Widerstände mehr oder weniger radikal ausfallen.
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Die andere Republik – Notizen nach einer vorhersehbaren Niederlage
Die Bundestagswahlen markieren eine Zäsur in der politischen Entwicklung der Republik. Dafür stehen vor allem zwei Ergebnisse, die eng mit der Krise der politischen Repräsentation in diesem Land verbunden sind: Zum einen wird mit dem bundesweiten Erfolg der AfD die rechtspopulistische Lücke im Parteiensystem geschlossen. Damit wird jene historische Phase der bundesdeutschen Geschichte beendet, in der Parteien rechts der CDU, zumal mit offensichtlichen Übergangsbereichen zur extremen Rechten, politisch nicht erfolgreich auf Bundesebene agieren konnten.
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Lemonade – die Niederlage der Sozialdemokratie zum Fortschritt wandeln
Das Ergebnis der Bundestagswahl am 24. September ist eine historische Niederlage für die Sozialdemokratie in Deutschland. Das Zweitstimmen-Ergebnis der SPD von 20,5 Prozent ist der niedrigste Wert an Zustimmung, den sie seit Gründung der Bundesrepublik bei einer Bundestagswahl erhalten hat – aber das Ausmaß des Desasters geht weit darüber hinaus. Die SPD schafft es in einigen Regionen der Republik, insbesondere im Osten und Süden, kaum auf den dritten Platz der angetretenen Parteien. Doch nicht nur die SPD hat verloren, auch die Union hat das schlechteste Ergebnis seit ihrem Bestehen eingefahren.
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Altes Denken oder Wirtschaftsdemokratie in der Klasse? Eine Einschätzung des Urteils des BVerfG zum Tarifeinheitsgesetz
Es war zu erwarten, dass das aktuelle Urteil des BVerfG zum Tarifeinheitsgesetz auf massive Kritik stößt. Diese Kritik erfolgt aus zwei Blickwinkeln. Einmal aus der Sicht der linken Fundamentalisten. Zum zweiten aus einer Sicht, die als linker Rechtspositivismus bezeichnet werden kann. Der Tenor der Kritik lautet: Das Urteil schränkt das Streikrecht ein und markiert einen Eingriff in die Handlungsmöglichkeiten von Berufs- oder Spartengewerkschaften. Bei den Rechtspositivisten überrascht diese Kritik nicht. Deren Sicht auf das Recht ist durch einen „Tunnelblick“ gekennzeichnet, sie sind auf die Formen des Rechts fixiert, aber die diesen Formen unterliegenden sozialen Beziehungen und materiellen Verhältnisse werden ausgeblendet.
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Interview: Der homo oeconomicus ist eine Kunstfigur
spw:Nach welchen Maßstäben beurteilen die Beschäftigten den Wert ihrer Arbeit?
Berthold Vogel: Arbeit muss sinnvoll sein. Beschäftigte beurteilen Arbeit keinesfalls nur nach dem Geldbeutel, wie häufig unterstellt wird. Wie viel man mit welcher Arbeit verdienen kann, ist zwar eine zentrale Frage. Keiner von uns würde wohl sagen, das ist unwichtig und darauf kommt es nicht an. Denn Lohn und Gehalt ermöglichen nicht nur die materielle Existenz. Hinter der Entlohnung einer Arbeit steckt immer auch ein Werturteil über diese Arbeit. mehr„Arbeitswelten 4.0“ im Spiegel euphorischer und skeptischer Implikationen - Überlegungen über die Konflikträume digitaler Kapitalismus und Postdemokratie
Die Diskurse über die „Zukunft“ der Arbeit in Deutschland werden von skeptischen und euphorischen Wortmeldungen über die Auswirkungen der Digitalisierung, Globalisierung, des demographischen Wandels, von Bildung und Migration sowie des kollektiven und individuellen Erlebens der veränderten Arbeitswelt bestimmt. In der Politik sind sie längst angekommen, wie das Weißbuch „Arbeiten 4.0“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zeigt. Hier werden aktuelle qualitative Beobachtungen und prognostische Vorhersagen empirischer Forschung gesammelt und punktuelle Lösungsvorschläge vorgestellt.
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Vor neuen Herausforderungen – Gewerkschaften in fragmentierten Arbeitsbeziehungen
2015 war für die deutschen Gewerkschaften ein außergewöhnliches Jahr. In deutlichem Kontrast zur Entwicklung in den meisten europäischen Staaten kam es zu einer Serie von Arbeitskämpfen. Rund zwei Millionen Streiktage (2014: 392.000) mit etwa 1,1 Millionen Beteiligten (2014: 345.000 Streikende) zeugten von neu erwachtem gewerkschaftlichem Selbstbewusstsein. Zwar ist die Konfliktträchtigkeit der Arbeitsbeziehungen im europäischen Vergleich noch immer unterdurchschnittlich ausgeprägt und sie hat – wenig überraschend – nach 2015 wieder nachgelassen. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Arbeitskämpfe einem gravierenden Strukturwandel organisierter Arbeitsbeziehungen signalisieren.
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Was kann die Tarifautonomie? Überlegungen aus rechtlicher Sicht
Wenn in der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung heutzutage die Rede auf die Tarifautonomie kommt, sollte aufgehorcht werden: Die Berufung auf die Tarifautonomie ist nicht mehr notwendig etwas, das dem Interesse des Arbeitnehmerschutzes dient. Wie konnte es soweit kommen, dass gerade die Tarifautonomie das stärkste juristische Argument gegen einen gesetzlichen Mindestlohn werden konnte? Wie kann die Stärkung der Tarifautonomie ein Anliegen der Deregulierung sein?
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Internationale Arbeitnehmersolidarität in transnationalen Konzernen: Erkenntnisse der Kampagne „WE EXPECT BETTER“ um T-MOBILE US
Die meisten Gewerkschaften bekennen sich heute rhetorisch zum Ziel der internationalen Solidarität: Die Erkenntnis, dass grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Zeiten globalen Kapitals und transnationaler Konzerne, von Outsourcing und globalen Lieferketten schon aus Eigeninteresse überlebensnotwendig ist, hat sich in den meisten Gewerkschaften, zumindest in der Theorie, weitgehend durchgesetzt.
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Augenhöhe fördert das Zusammenleben - Erhebung zum Migrationshintergrund der IG Metall-Mitglieder
Die aktuelle Debatte über Flucht und Einwanderung ist stark von symbolischen Themen und Thesen geprägt. Ein Blick in die Arbeitswelt kann dabei helfen, die auftretenden Probleme sachlich anzugehen: In den Betrieben dürfen alle Beschäftigten ihre Interessensvertretung wählen – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Das volle Wahlrecht für alle gibt es erst seit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes unter der ersten sozial-liberalen Koalition 1972. Bis dahin war dies ausschließlich Beschäftigten mit deutscher Staatsangehörigkeit vorbehalten. Die IG Metall stand jedoch von Anfang an allen Beschäftigten in ihrem Organisationsbereich offen.
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Crowdwork: Arbeit auf Plattformen
Mit der Computerisierung oder Digitali-sierung und ihren technischen Möglichkeiten, insbesondere dem Internet, hat sich der Grad der Globalisierung von Arbeit erhöht. Auf diese Möglichkeiten setzt eine Bewegung zur Entwicklung von frei zugänglicher Software, die offene Kooperation und den freien Wissensaustausch nutzt, um die Qualität ihrer Software zu erhöhen. Um die Vorteile dieser „freien Software“ zu verwerten, kooperieren Unternehmen mit der „Open Source-Bewegung“ und schaffen neue Lizenzmodelle. Die wiederum erlauben eine Kommerzialisierung der Software, auch wenn darin nicht entlohnte Arbeit steckt.
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WE STAND UNITED? Neue Bruchlinien und Ansätze für eine solidarische Arbeitswelt in der digitalen Transformation
Arbeit wird von Sozialdemokratie und Gewerkschaften als das Sinn und Zusammenhalt stiftende Moment in Gesellschaft gesehen. Voraussetzung dafür ist, dass die Arbeitswelt fair geregelt ist; das Orientierung stiftende Leitbild einer solidarischen Arbeitsgesellschaft beinhaltet gute Arbeitsbedingungen sowie sichere und planbare Erwerbsbiografien, hergestellt durch kollektive Regelungen im Betrieb, zwischen Sozialpartnern und sozialstaatliche Absicherung. Dieses Leitbild ist jedoch unter Druck; herkömmliche Konzepte und Instrumente von Mitbestimmung und Sozialstaat sind herausgefordert. In der Arbeitswelt verstärken sich nicht zuletzt durch die Digitalisierung schon länger bestehende Bruchlinien und Konflikte, neue kommen hinzu.
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Am Ende dann doch lieber die Méthode Monnet: Diskussion um die Zukunft der EU
Roadmaps, Szenarien, Grundsatzreden – kein Instrument wird derzeit ausgelassen, um Ideen zur künftigen Gestaltung Europas zu präsentieren. Insbesondere die Europäische Kommission und der französische Präsident Emmanuel Macron tun sich im Wochentakt mit Initiativen hervor. Es soll dabei um nichts weniger gehen, als „die Strecke in Richtung Zukunft abzustecken“ (Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker), um die „Neugründung eines souveränen, geeinten und demokratischen Europas“ (Macron). Was enthalten die superlativen Ankündigungen und welche Umsetzungsoptionen verbleiben nach der Bundestagswahl?
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Das Unabgegoltene der Revolution – 1917 - 1932 - 1989
Jahrestage haben es an sich, dass sie zur Unzeit kommen. Wenn sich im Herbst 2017 inmitten einer Welle rechtspopulistischer Mobilisierung in ganz Europa der hundertste Jahrestag der Oktoberrevolution jährt, erzeugt das Ratlosigkeit. Was haben uns die Erfahrungen von 1917 heute zu sagen? Leben wir angesichts ökonomischer Dauerkrise und politischer Instabilität in revolutionären Zeiten – oder hat uns nach dem Einzug der AfD in den Bundestag die „antifaschistische Aktion“ von 1932 nicht viel mehr zu sagen als die Erfahrungen von 1917?
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Die linken Parteien Paraguays im demokratischen Wandel und der Aufbau einer progressiven Einheit
In Paraguay haben sozialistische und sozialdemokratische Bewegungen im politischen Leben und bei Wahlen lange keine bedeutende Rolle eingenommen, da sich in dem Land – das bis in die 1990er Jahre hinein stark ländlich geprägt war – nie eine nennenswerte Arbeiterklasse herausgebildet hat. Während der Stroessner-Diktatur haben sich zwar verschiedene sozialistische Kräfte dem Regime entgegengestellt, wurden jedoch massiv unterdrückt. Im 21. Jahrhundert hat sich die Partei País Solidario (PPS) als bedeutende Kraft des demokratischen Sozialismus einen Platz in der paraguayischen Politik erobert – errichtet als urbane Alternative und inspiriert von dem Erfolgserlebnis progressiver Kräfte bei den Kommunalwahlen in Asunción im Jahr 1991. Aus diesen ging der als unabhängiger Kandidat angetretene Carlos Filizzola, der erste progressive Bürgermeister in der Geschichte Paraguays, als Sieger hervor.
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