Ausgabe: spw 221

Europäische Sozialdemokratie – zwischen Krise und Erneuerung?

Einleitung zum Heftschwerpunkt

In Rückblicken dürfte besonders das Jahr 2017 eine Phase historischer Zäsuren der europäischen Sozialdemokratien markieren. Wie in einem Zeitraffer vollziehen sich grundlegende Veränderungen und Brüche, die zum Teil bis vor Kurzem noch als undenkbar galten. Mit dem vorliegenden Heftschwerpunkt möchten wir die Entwicklungsdynamiken verschiedener Formationen der europäischen Sozialdemokratie besser verstehen und Möglichkeiten für politische Lernprozesse der deutschen Sozialdemokratie aufzeigen. Hierbei geht es uns natürlich auch und gerade darum, die Ergebnisse der unmittelbar bevorstehenden Bundestagswahl nicht in nationaler Beschränkung, sondern in einem europäischen bzw. internationalen Kontext zu bewerten.

Artikel

Inhalt Heft 221

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Einleitung zum Schwerpunkt: Europäische Sozialdemokratie – zwischen Krise und Erneuerung?

von Kai Burmeister, Uwe Kremer, Thilo Scholle, Stefan Stache

Kurzum

von Felix Welti

Debatte: Anmerkungen zu Demonstrationsfreiheit und Kontrolle der Polizei nach dem G20-Gipfel

von John Philipp Thurn

Einige Stunden nach der Auflösung der „Welcome to hell“-Demonstration, noch immer Donnerstag, der 6. Juli 2017: Als Demonstrationsbeobachter des Komitees für Grundrechte und Demokratie folge ich einem offenbar spontan entstandenen Aufzug, der auf der Strecke der autonomen Großdemo verläuft, über die Reeperbahn, die Holstenstraße und die Max-Brauer-Allee. Bei der Johanniskirche fährt von der rechten Seite plötzlich eine Kolonne von Einsatzwagen der Polizei in die Menge hinein, was Unruhe erzeugt. Wenig später, gegen 23:15 Uhr, geht die Polizei von der Sternbrücke aus mit mehreren Wasserwerfern gegen die Demonstration vor, dann kommen uns Polizeiketten entgegengelaufen.  mehr

Debatte: G20-Gipfel – In westeuropäischen Metropolen künftig noch möglich?

von Matthias Bartke

Es hatte im Vorfeld viele Warnungen gegeben, dass sich die Vorkommnisse des G20-Gipfels von Genua 2001 wiederholen könnten. Dort hatte es seinerzeit bürgerkriegsähnliche Zustände gegeben und ein Demonstrant wurde von der Polizei erschossen. Um solche Szenarien zu verhindern, hatten sich Hamburger Polizei und Senat penibel vorbereitet. Sicherheitskonzepte wurden mit der Opposition im Landesparlament und mit dem Bund abgestimmt und es gab das größte Polizeiaufgebot, das Hamburg je gesehen hatte. mehr

Arbeit 4.0 nicht ohne Mitbestimmung 4.0!

von Lars Scheidler

Die soziale Marktwirtschaft ist ohne Mitbestimmung undenkbar. Sie ist damit ein wesentlicher Bestandteil unserer sozialen Demokratie. Die Mitbestimmung sichert den Beschäftigten Teilhabe, durch die eine gerechtere Gesellschaft entsteht. Ein Modell, von dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genauso profitieren wie Unternehmerinnen und Unternehmer. Ein Modell das einzigartig ist innerhalb Europas. mehr

Die französische Parti socialiste (PS): Wir müssen die Linke nicht wiederaufrichten, wir müssen sie transformieren

von Laura Slimani

Kein ehrlicher Sozialist und keine ehrliche Sozialistin würde behaupten, es sei alles in bester Ordnung. Tatsächlich ist schon lange nichts mehr in Ordnung. Ja, von Zeit zu Zeit erlaubt uns ein kleiner Hoffnungsschimmer, daran zu glauben, dass vielleicht bald wieder „alles beim Alten“ ist. Im Frankreich des Jahres 2012 schien es, als hätten die Sozialisten nach zehn Jahren in der Opposition endgültig zurück zu alter Stärke gefunden. Aber fünf Jahre später ist der Nachgeschmack stark und bitter: Die Sozialistische Partei Frankreichs scheint am absoluten Tiefpunkt angekommen zu sein. mehr

Italienische Sozialdemokratie – Erfolg durch Transformation?

von Michael Braun

Sozialdemokrat, der die Linke erneuert, oder verkappter Rechter, der die Axt an die Wurzeln der eigenen Partei legt? Politiker, der die Partito Democratico (PD) grundlegend erneuern will, um mit ihr ein modernes Italien zu gestalten, oder purer Machtmensch, dem es allein darum geht, die eigene Führungsrolle zu zementieren? Kurz: Hoffnungsträger oder Totengräber der PD? An keinem Politiker der italienischen Linken schieden sich in den letzten Jahrzehnten die Geister so wie an Matteo Renzi.
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PSOE: vom Triumph zum Desaster und wieder zurück

von David Lizoain

Zwei verschiedene Erzählungen existieren innerhalb der PSOE und treiben diese an. Die erste umfasst das Epos der historischen PSOE und umspannt die Zeit von ihrer Gründung im Jahr 1879 bis zu ihrem Niedergang und Exil im Jahr 1939, nachdem reaktionäre Kräfte die Spanische Republik niedergerungen hatten. Die zweite ist unzertrennbar mit der Geschichte des modernen Spaniens verbunden: Sie handelt davon, wie die PSOE die Bühne nach langer Zeit wieder betritt und den erfolgreichen Übergang des Landes zur Demokratie verkörpert, als sie im Jahr 1982 die absolute Mehrheit erringt. mehr

Die PSOE und die Linke unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen in Spanien

von Ibán García del Blanco

Wenn jemand die politische Situation in Spanien im Oktober 2016 beobachtet hätte und daraufhin verschwunden wäre, um erst jetzt wiederaufzutauchen, müsste er glauben, sich in einem komplett anderen Land wiederzufinden – vor allem in Bezug auf die Linke. Im Mai dieses Jahres hat sich die PSOE Vorwahlen durchgeführt, um ihren Generalsekretär zu wählen – mit allen Anzeichen eines Epochenwandels.  mehr

Die portugiesische Regierungslösung: Ist das der vierte Weg?

von João Albuquerque

Bald haben wir das zweijährige Jubiläum der Regierungszeit von António Costa und der Sozialistischen Partei (Partido Socialista, PS) in Portugal erreicht. Wenn man bedenkt, dass es sich dabei um eine politische Lösung handelt, von der viele dachten, sie würde nicht einmal die ersten 100 Tage überstehen, kann die linke Koalition schon jetzt als Erfolg gewertet werden. Was also ist in Portugal geschehen, dass das Land – vor allem innerhalb der sozialdemokratischen Parteienfamilie – schon jetzt als Fallstudie für ganz Europa betrachtet wird? Um das zu verstehen, sollten wir einen Blick auf die Situation in Europa werfen. mehr

Ein Blick in den Abgrund

von Ludwig Dvořák

In Österreich lebt es sich gut im europäischen Vergleich. Egal ob bei (Jugend-)Arbeitslosigkeit, beim Wohnungsbau, bei den Einkommen oder kommunalen Diensten – gemessen an anderen europäischen Ländern wirkt alles rosig im 8-Millionen-EinwohnerInnen-Land. So scheint es auch mit Österreichs Sozialdemokratie zu sein: Die SPÖ stellt seit zehn Jahren den Regierungschef in einer Koalitionsregierung mit der konservativen ÖVP, sie ist mit 27 Prozent bundesweit stärkste Partei und hat trotz des Hypes um den neuen ÖVP-Vorsitzenden Sebastian Kurz durchaus noch Chancen, diesen Stimmanteil und Platz 1 bei den Nationalratswahlen am 15. Oktober zu verteidigen. mehr

From Dusk till Dawn – der lange Weg der schwedischen Sozialdemokratie von einer Staatspartei zum Kampf um jede Stimme. Und zurück.

von Christian Krell, Niels Stöber

Was im Alten Testament das Land Kanaan war, schien für die Sozialdemokratie lange Zeit Schweden zu sein: das gelobte Land. Hier hatten die Sozialdemokraten nicht nur über Jahrzehnte hinweg Wahlergebnisse deutlich über 40 Prozent und waren zwischen 1932 und 1976 ununterbrochen an der Regierung beteiligt. Sie konnten darüber hinaus ein Gesellschaftsmodell verwirklichen, das den Idealvorstellungen Sozialer Demokratie nahe kam. Im schwedischen Modell schienen hohe gesellschaftliche Gleichheit und damit hohe individuelle Freiheitsspielräume auf eine außergewöhnliche Weise verwirklicht. mehr

Warum gibt es keine Sozialdemokratie im heutigen Ostmitteleuropa?

von Dieter Segert

Gegenwärtig regieren mehr Mitgliedsparteien der Europäischen Sozialisten im Osten als im Westen. Insofern mag die Überschrift rätselhaft erscheinen. Sie ist die bewusste Überspitzung einer bedauernswerten Tatsache, die nachfolgend in ihren Ursachen erklärt werden soll. Wenn man es genau nehmen will, dann handelt es sich natürlich um eine Interpretation, deren Begründung mit diesem Beitrag versucht wird. mehr

An der Macht beteiligt, aber nie an der Macht: Die Entwicklung der schweizerischen Sozialdemokratie

von Rebekka Wyler

Wenn von einer „Krise der europäischen Sozialdemokratie“ die Rede ist, ist zu fragen, ob die SPS zu dieser europäischen Sozialdemokratie gehört: Geographisch zwar Teil Europas, aber oft als „Sonderfall“ tituliert, steht die Schweiz immer wieder abseits. Einem vergleichsweise schwachen Staat stehen einflussreiche Verbände gegenüber. Die Möglichkeit, Gesetzesentwürfe mittels Referendum zu torpedieren, führt dazu, dass referendumsfähige Minderheiten nicht auf Dauer von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden konnten. Gleichzeitig übernahmen die Verbände bereits früh Verwaltungsfunktionen und andere Aufgaben der öffentlichen Hand.  mehr

Nichts kommt von selbst – zur Lage der sozialdemokratischen Dachverbände

von Jan Lichtwitz

Die sozialistische und sozialdemokratische Idee war im Kern immer eine Internationalistische. Auch heute erfordern globale Herausforderungen gemeinsame Antworten einer weltweiten Bewegung. Das gilt für den Umgang mit politischen und bewaffneten Konflikten, für ein notwendiges Gegengewicht zu zunehmendem Autoritarismus, Nationalismus und Rechtspopulismus und nicht zuletzt um die Bewahrung erkämpfter Regeln und den Kampf um neue gegen weltweite Armut, Ausbeutung von Beschäftigten und Steuerflucht. Zeit, einen Blick auf die Lage der weltweiten Sozialdemokratie zu werfen. mehr

Stichwort Wirtschaftspolitik: Arbeitskosten, Lohnstückkosten und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft

von Arne Heise

Die aktuelle Zahl: 993.000 Langzeitarbeitslose

von Michael Reschke

„Medicare for all, not the few“ – eine postkeynesianische Aufforderung

von Alexander Braun

Bernie Sanders hat es vorgemacht und Jeremy Corbyn tat es ihm gleich: Beide zeigten, dass sich mit Gesundheitspolitik Wählerinnen und Wähler mobilisieren lassen. Christian Kern forderte im österreichischen Vorwahlkampf die Rücknahme des Pflegeregresses, der „Enteignung von Pflegefällen“ (APA, 2017), und konnte dies noch vor der Nationalratswahl im Herbst erfolgreich umsetzen. Es scheint fast so, dass das Thema der Pflege- und Gesundheitsversorgung ein Kernthema sozialdemokratischer Wahlkämpfe werden könnte. Dennoch befindet sich die Sozialdemokratie mit ihrer Argumentation für die Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Defensive. Die Rückkehr zur paritätischen Beitragsfinanzierung, die Einführung der BürgerInnenversicherung und die Investitionen in öffentliche Krankenhäuser sind auch im SPD-Wahlkampf präsent. mehr

Kompetenz zum Widerstand – eine Bildungsaufgabe

von Fritz Reheis, Stefan Denzler, Michael Görtler, Johann Waas

„Kompetenz zum Widerstand“ – der Titel legt scheinbar nahe, dass Widerstand ein grundsätzlich zu begrüßendes Phänomen sei. Mit „Widerstand“ ist in der deutschen Geschichte der Kampf gegen den Nationalsozialismus verbunden. Manche mögen auch an Asterix und Obelix denken und an jenes kleine gallische Dorf, das nicht aufhört, dem übermächtigen römischen Eindringling Widerstand zu leisten. Kleine Gruppen kämpfen für eine gute Sache gegen einen übermächtigen Gegner – das ist der Prototyp des Widerstands. mehr

100 Jahre Gründung der USPD

von Thilo Scholle

Der Umgang mit dem im August 1914 ausgebrochenen Krieg war in der deutschen Sozialdemokratie von Anfang an umstritten. Bereits in der Fraktionssitzung vor der Sitzung des Reichstags am 4. August hatte sich eine größere Zahl an Abgeordneten, darunter mit Hugo Haase auch einer der beiden Parteivorsitzenden, gegen eine Bewilligung der Kriegskredite ausgesprochen. In der internen Abstimmung unterlegen, fügten sich zunächst noch alle Kritiker der Fraktionsdisziplin und stimmten im Plenum der Vorlage zu. mehr

DL 21 Aktuell: Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit

Rezension: Hundert Jahre deutsche Kriegsschulddebatte

von Thilo Scholle

„Linkspopulismus in Europa“ – Bericht von der ProMS Nord Klausurtagung

von Alf-Tomas Epstein, Patrick Lange