Ausgabe: spw 215

Populismus und politische Repräsentation

Einleitung zum Heftschwerpunkt

In den letzten Jahren ist die Debatte um Linkspopulismus zunehmend in den Mittelpunkt linker Strategiedebatten gerückt. Die neue Aufmerksamkeit für die theoretische Ansätze Ernesto Laclaus und der durch sie inspirierten politischen Strategien stehen mit mehreren Entwicklungen im Zusammenhang.
  • Die Rückkehr der im Grunde nie gelösten sozialen Frage und der durch die Hegemonie neoliberaler Politik zunehmenden Schere zwischen Arm und Reich national und international.
  • Die seit Jahrzehnten zunehmenden demokratischen Teilhabeerwartungen von Frauen und Männern.
  • Die Krise der Sozialdemokratie durch ihre autoritär-neoliberale Politik und die unerfüllte politische Repräsentation der Teilhabeerwartungen.
  • Die Mobilisierungserfolge der aus Protestbewegungen hervorgegangenen neuen Parteien wie Podemos und Syriza, aber auch die Dynamik der Kampagnen Bernie Sanders’ und Jeremy Corbyns.
  • Und schließlich haben die Erfolge rechts-populistischer und rechtsextremistischer Kampagnen und Parteien der Debatte Auftrieb gegeben, zumal die AfD bei den Landtagswahlen im März und im September mehr als 20 Prozent der Stimmen erreichte und vergleichsweise viele NichtwählerInnen mobilisieren konnte.

Artikel

Inhalt Heft 215

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Einleitung zum Schwerpunkt: Populismus und politische Repräsentation

von Matthias Ecke, Max Reinhardt, Thilo Scholle, Stefan Stache

Kurzum

von Uwe Kremer

Warum Großbritannien für den Austritt aus der EU gestimmt hat und was jetzt zu tun ist: Ein Blick vom Ort des Geschehens

von Anneliese Dodds

Ich war enttäuscht, aber nicht überrascht über die mit knapper Mehrheit getroffene Entscheidung der BritInnen im Juni, die EU zu verlassen. Während der Referendums-Kampagne war deutlich zu erkennen gewesen, dass es genauso viele „schüchterne ‚Leaver‘“ wie „schüchterne ‚Remainer‘“ gab, dass die klaren (wenn auch größtenteils falschen) Botschaften der Leave-Kampagne an Boden gewannen und dass ein Austritt aus der EU überwiegend als die Anti-Establishment-Option wahrgenommen wurde. Die allgemeine Auffassung, wonach Bevölkerungen am Status-Quo festhalten, wurde unhaltbar, als es der Leave-Kampagne gelang, diesen Status-Quo als gefährlich darzustellen – mit Verweis auf das mit der Flüchtlingskrise verbundene Chaos, den internationalen Terrorismus und eine ‚finanzielle Kernschmelze‘ in der Eurozone. Aus diesen und anderen Gründen hält das Referendum, auch wenn es sich dabei eindeutig um ein speziell britisches politisches Ereignis handelte, Lektionen für sozialdemokratische Parteien in ganz Europa bereit.
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Erdogans „Neue Türkei“ auf dem Weg zur autoritären Herrschaft

von Gülistan Gürbey

Die Türkei unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und seiner seit 2002 regierenden AKP durchläuft seit längerer Zeit innen- und regionalpolitisch turbulente Zeiten. Einen Höhepunkt stellt der Putschversuch von Teilen des türkischen Militärs gegen Erdogan und die Regierung vom 14./15. Juli 2016 dar. Für den gescheiterten Putschversuch macht Erdogan Fethullah Gülen und seine Bewegung verantwortlich, die als Terrororganisation FETÖ bezeichnet wird.
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Debatte: Ausbeutungskette

von Heinz-J. Bontrup

Die Übernahme von Kaiser‘s Tengelmann durch Edeka schlägt hohe Wellen. Der vom Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel per Ministererlaubnisgenehmigte Aufkauf aus „Gemeinwohlgründen“ setzt sich über das Übernahmeverbot des Bundeskartellamtes und der Monopolkommission hinweg. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat jedoch die Ministererlaubnis wegen „Befangenheit“ von Gabriel in einem Eilverfahren aufgehoben. Dagegen geht Gabriel mit einer Klage vor. Diese wird er verlieren. Zu Recht. mehr

Debatte: Gesicherte Zukunft durch Tarifvertrag und Betriebsräte

von Stefanie Nutzenberger

Wenn es um den schwierigen Verkaufsprozess von Kaiser’s Tengelmann geht, sollte man sich andie Ausgangslage erinnern: Der Milliardär Karl-Erivan Haub hat entschieden, Kaiser’s Tengelmann an Edeka zu verkaufen. Ihm geht es um seinen Profit und weniger um die Menschen, die seit Jahren für ihn arbeiten.
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Die SPD Baden-Württemberg: Langer Atem für die inhaltliche und strukturelle Erneuerung

von Hilde Mattheis

Der Erneuerungsprozess der SPD Baden-Württemberg ist zwingend, denn diesmal kann niemand zur Tagesordnung übergehen. Der Absturz bei dieser Landtagswahl von 23,1 Prozent im Jahr 2011 auf jetzt 12,7 Prozent ist so dramatisch, dass selbst Zweckoptimisten nur einen Austausch von Personal nicht vertreten können. Der Forderung der SPD-Linken nach inhaltlicher, struktureller und personeller Erneuerung kann nichts entgegengesetzt werden und ist mittlerweile die Überschrift dieses Prozesses. mehr

Mit mehr sozialer Gerechtigkeit aus der Krise

von Dierk Hirschel

Die Sozialdemokratie steckt in der Krise. In aktuellen Umfragen will nur noch jeder Fünfte seine Stimme der SPD geben. Bei den letzten Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt wurde die Partei geradezu pulverisiert. Die Zahl der organisierten Genossen hat sich in den letzten 25 Jahren halbiert.
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EEG-Novelle: Auf dem Weg zu einer sozialen Energiewende?

von Klaus Mindrup

Die Energiewende verknüpft wie kaum eine andere politische und ökonomische Dynamik die ökologische Frage mit Macht- und Verteilungsfragen. Und selten ist dieser Zusammenhang so eng mit einem Gesetzesvorhaben verbunden und in seinen Auswirkungen so komplex wie in dem vor der Sommerpause novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Es ist ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für die Erreichung der Klimaschutzziele, den Ausbau der erneuerbaren Energien, einer demokratischeren Energieerzeugung sowie der Verteilung der Kosten der Transformation.
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Die populistische Herausforderung: Pure Vernunft darf niemals siegen

von Tobias Boos, Benjamin Opratko

Die Benennung einer politischen Partei, eines Politikers oder einer Politikerin als „populistisch“ ist folgenschwer. Denn „Populismus“ ist zunächst vor allem eines: politischer Kampfbegriff. Mit ihm verhielt es sich lange ähnlich wie mit der „Ideologie“. Wie der britische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton einmal launig bemerkte, ist diese „wie Mundgeruch immer das, was die anderen haben“ (Eagleton 2000: 8). Niemand wollte populistisch sein, das Attribut war, jedenfalls in Europa, nie Selbstbezeichnung sondern stets Fremdurteil. So eingesetzt vollzieht die Bezeichnung eine doppelte Operation. Zum einen disqualifiziert sie das Gegenüber als gefährlichen Demagogen, der mit den Hoffnungen und Emotionen seiner UnterstützerInnen spielt; als einen, der leere Versprechungen tätigt, um an die Macht zu gelangen oder sich an dieser zu halten. Zum anderen stellt der Adressant sich selber ins Recht. mehr

Links wie Rechts: Die strukturelle Identität der Populismen

von Albrecht von Lucke

Die soziale Demokratie in Europa steht vor einem Jahr der Entscheidungen: Im Dezember wird in Österreich die Bundespräsidentenwahl wiederholt. Dann wird sich erweisen, ob der rechtspopulistische Kandidat Norbert Hofer diesmal gewinnt – oder ob das Notbündnis der Demokraten noch einmal gegen ihn zusammenhält. mehr

Die politische Krise der EU, Migrationspolitik und das Erstarken der neuen Rechten

von Daniel Keil

Dass die Europäische Union (EU) sich in einer tiefgreifenden Krise befindet, ist keine allzu originelle Feststellung. Ebenfalls offensichtlich ist das Erstarken (neu)rechter Bewegungen und der Zuwachs rassistischer und antisemitischer Gewaltakte. Dass beides miteinander in irgendeiner Form zusammenhängt, zeigte sich unter anderem am britischen Referendum zum Ausstieg aus der EU und dem Zuwachs von 57 Prozent bei sogenannten Hate Crimes nach dem Votum für den Brexit. In Deutschland wurde 2015 ein trauriger Höhepunkt rechter Gewalt vor allem gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte verzeichnet, der 2016 wahrscheinlich nochmal übertroffen wird. Augenscheinlich dabei ist die Verknüpfung von rassistischen Antimigrationsmotiven mit der Ablehnung der EU, welche fast schon die Diskurshoheit über die Frage nach der Verfasstheit der EU gewinnen konnte. mehr

Vorwärts immer. Eine mehrheitsfähige SPD braucht einen neuen „Deutungsrahmen“ der ökonomischen und sozialen Wirklichkeit

von Benjamin Mikfeld

Vorbemerkungen und eine kleine Replik
Eine anspruchsvolle und selbstkritische Debatte darüber, ob und wie die deutsche Sozialdemokratie zumindest mittelfristig wieder in der Lage sein kann, politische Mehrheiten zu organisieren bzw. Koalitionen jenseits einer großen Koalition anzuführen ist sicher nötig. In spw 213 unternimmt Horst Heimann einen Versuch. Auf zehn Seiten wirft er die Frage auf, wie die SPD wieder über die 25- oder 30-Prozent-Marke kommen und welchen Beitrag auch das Projekt „spw“ dazu leisten könne. Heimann beklagt zu Recht ein „Theoriedefizit“ und plädiert für eine Theorie des Kapitalismus und ein reformpolitisches Konzept. Eine seiner zentralen Antworten lautet: Dem „Deutungsrahmen“ des Neoliberalismus den „Deutungsrahmen“ des Wohlfahrtsstaates im Sinne eines „neuen Solidaritätsprojekts“ entgegensetzen mehr

Die Renaissance der Mittelgesichtsgesellschaft – und der SPD

von Timo Grunden

Es hilft, es auszusprechen: Sozialdemokratengehören zur politischen Elite – und zwar alle, die von der Kommune bis zum Bund Ämter und Mandate bekleiden oder auch nur durch ihre Parteiarbeit Einfluss auf die Entscheidungen in Räten, Parlamenten und Exekutiven nehmen. Sozialdemokraten sind Pragmatisten. Die SPD ist eine staatstragende Partei. Vor allem ist sie eine Mittelschichtspartei. Genauer: eine Partei für die Mittelschichtsgesellschaft, jener politischen und sozialen Ordnung, in der Armut und exorbitanter Reichtum die Ausnahme sind und das Gros der Sozialstaatsbürger ein selbstbestimmtes Leben in sozialer Sicherheit führen kann.  mehr

Herbst des Kapitalismus, Frühling der Völker?

von Samir Amin

Der Kapitalismus bildet nur eine kurze Klammer in der langen Geschichte der Menschheit; freilich eine entscheidende Klammer, denn sie hat die materiellen (die gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte und der wissenschaftlichen Kenntnisse) und die kulturellen Bedingungen hervorgebracht (die Affirmation der Moderne, die auf dem Prinzip beruht, dass die Menschen ihre Geschichte selbst machen und damit das traditionelle Prinzip der Treue zu den Glaubensformen der Vorfahren ersetzen), die die Vorstellung einer kommunistischen Zukunft erlauben. Diese wird aufgefasst als eine höhere Etappe der universalen Zivilisation, die die Konkurrenz im Dienste des schnellen Profits durch die Werte der Gleichheit und Solidarität ersetzt. mehr

Sammelrezension: Kritische Transformationsforschung

von Thilo Scholle

Wie funktionieren gesellschaftliche Transformationen? Wer ist das Subjekt oder wer sind die Subjekte? Welche Rolle spielen gemeinsame Utopien und linke Horizonte? Mit Begriffen wie der Forderung nach „radikaler Realpolitik“ versuchen Denker im Umfeld der Linkspartei seit längeren eine verbindende Folie für theoretisches wie auch praktisches Agieren zu finde. Ergänzt werden diese Debatten seit kürzerem von Diskussionen um „Transformation“. mehr

Stichwort Wirtschaftspolitik: Der Brexit und seine ökonomischen Folgen

von Arne Heise

Die aktuelle Zahl: 717 Euro

von Michael Reschke

Zum Konzept der doppelten Solidarität: Möglichkeiten ziviler Friedensarbeit am Beispiel des Willy Brandt Centers

von Judith Höffkes

Am 09. April 1996 unterschrieben die damalige Juso-Bundesvorsitzende Andrea Nahles, Ofer Dekel, seines Zeichens der Vorsitzende der israelischen Awoda-Jugend, und Sabri Tomezi, der Vorsitzende der Fatah-Jugend, eine Vereinbarung zur Gründung eines gemeinsamen Zentrums zur Begegnung und Verständigung in Jerusalem, das Willy Brandt Center. So entstand das WBC durch die Bildung einer politischen Kooperation zwischen den drei linken und sozialdemokratischen Jugendbewegungen aus Israel, Palästina und Deutschland. Im Laufe der letzten 20 Jahre wurde nicht nur die politische Kooperation durch die Aufnahme der israelischen Meretz-Parteijugend um eine weitere Partnerschaft erweitert. mehr

Ausstieg mit links? Eine Standortbestimmung in der Krise der Währungsunion

von Björn Hacker

Die Konjunktur europäischer Krisen des vergangenen Jahres relativiert ex-post einige vielbeklagte Langzeit-Baustellen der europäischen Integration. Europäische Energiepolitik, gemeinsame Außenpolitik, Binnenmarktvollendung? Alles weiter wichtig, aber auf der politischen Agenda weit weniger prioritär gegenüber den herausfordernden Themenfeldern Asylpolitik, Rechtspopulismus und Brexit. Zugleich hat sich binnen Jahresfrist der Krisenbegriff ähnlich entleert, wie einstmals die Forderung nach „Reformen“. Was ist nochmal die Krise der Europäischen Union? Sezessionsbestrebungen als Ergebnis elitärer Ränkespiele eines gut situierten Mitgliedstaats? Ausbau der EU zur stacheldrahtbewehrten Festung unter dem falschen Signum der „Willkommenskultur“? mehr

Rezension: Kleine Einführung zu Wolfgang Abendroth

von Thilo Scholle

DL 21 Aktuell: CETA ablehnen, Demokratie in der Türkei schützen

von Hilde Mattheis