Ausgabe: spw 178

Arbeits-Sinn - Zur Bedeutung von Autonomie, Anerkennung und Sicherheit durch Arbeit

Einleitung zum Heftschwerpunkt

Trotz anhaltend hoher Arbeitslosigkeit hat sich an der Bedeutung von Erwerbsarbeit
nichts geändert. Faktisch besteht nach wie vor das Paradigma, dass gesellschaftliche Integration vornehmlich über Erwerbsarbeit stattfindet. Spätestens seit den Gesetzen „für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ ist klar – und das scheint in dieser Ausprägung eine neue Entwicklung zu sein – dass dieses Paradigma auch für die Organisation von Erwerbslosigkeit und ihrer sozialstaatlichen Einbettung maßgeblich ist. Ein nicht geringer Teil der Linken reagiert auf diese Entwicklung mit Forderungen nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE). Die Popularität dieser Forderung hat sicherlich viel mit der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt zu tun. Menschen sollendie Möglichkeit bekommen, sich der Allmacht des Aktivierungsparadigmas zu entziehen. Ob diese Forderung allerdings die realen Bedürfnisse von Menschen trifft und ob die Organisation von Erwerbsarbeit für die Gestaltung einer solidarischen Gesellschaft nicht nach wie vor einen zentralen Stellenwert hat, ist damit noch nicht beantwortet.   

Artikel

Inhalt Heft 178

Kurzum

von Thomas Westphal

Sparen ist eine Tugend! Sparen ist das Alltagssymbol für wirtschaftliche Vernunft. Fürechte Verantwortung. Nun ist das Sparen im Strumpf schon längst ein Opfer der „Landnahme der Geldwirtschaft“ geworden. Die Spargroschendes einen sind immer auch die Anlagemöglichkeiten des anderen. Spätestens seit
dem Hypothekencrash in den USA sollten wir verstanden haben, dass Sparen ein Teil eines gesamtwirtschaftlichen Kreislaufes ist. Kurzum: Sparen ist längst keine einfache
Tugend mehr. In Zeiten globaler Datenströme- und Sichtgelder sind Spareinlagen eine
scharfe, mitunter gefährliche Waffe für Volkswirtschaften geworden. mehr

Ein neuer Stabilitätspakt für den Euro

von Till van Treek

Die gegenwärtige Krise des Euroraums legt in jäher Weise die Konstruktionsfehler der Europäischen Währungsunion offen. Durch die am 9. Mai 2010 beschlossene Einrichtung eines Notfallfonds, der im Bedarfsfall bis zu 750 Mrd. Euro an Krediten für Mitgliedsländer mit Finanzierungsschwierigkeiten zur Verfügung stellen kann, ist das Zerbrechen des Euroraums zwar zunächst abgewendet worden. Eine dauerhafte Stabilisierung der Währungsunion kann aber nur gelingen, wenn ein grundlegendes Umdenken in der Wirtschaftspolitik stattfindet. Allein eine verschärfte Überwachung der staatlichen Haushaltskonsolidierung wird den Euroraum nicht aus der Krise führen. Der wesentliche Konstruktionsfehler des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) besteht darin, dass er auf die Finanzierungsposition von nur einem einzigen Sektor in der Volkswirtschaft, nämlich dem Staat, fixiert ist.  

mehr

NRW-Wahl: Politikwechsel ist der Wählerauftrag vom 9. Mai

von Marc Herter

9. Mai | 21:15 Uhr – hätte man ein Fußballspiel vor dem Fernseher geschaut, hätte spätestens jetzt der Schlachtruf „Abpfeifen – das passt!“ gelautet: 91 Mandate für Rot-Grün waren da auf der Anzeigetafel zu lesen. Einige sagten später: „Wir nehmen das Ergebnis aus dem ZDF.“ – Hier hatte die Hochrechnung noch etwas länger einen Durchbruch für den Politikwechsel angezeigt. Der Rest ist bekannt:  Am Ende war es mit 90 Stimmen genau eine Stimme zu wenig – der Wähler hatte wiedermal eine knifflige Aufgabe für die Regierungsbildung gestellt.  

mehr

Alterssicherung auf vier Säulen

von Anton Schaaf

Unser Altersvorsorgesystem kann in Zukunft weder Armut verhindern noch einen angemessenen Lebensstandard im Alter ermöglichen. Ergänzen wir das bestehende Sicherungssystem nicht durch eine Sockelrente, steuern wir auf die Altersfürsorge zu. Die Erosion der Normalarbeitsverhältnisse untergräbt die Funktionsfähigkeit unserer Alterssicherung. Vor allem in Ostdeutschland ist in den nächsten Jahren mit deutlich sinkenden Renten zu rechnen. Wir können dem mit der Eindämmung prekärer Beschäftigung begegnen, umzukehren sind die Flexibilisierungsprozesse
in der Arbeitswelt nicht. mehr

Debatte zum Thema steuerfinanzierte Grundrente

von Herbert Rische Rische

Hinsichtlich der Einschätzung, dass es in Zukunft zu einem Anstieg der Altersarmut kommen könnte und wir nach Wegen suchen müssen, dies zu vermeiden, besteht zwischen Anton Schaaf und mir kein Dissens.  Diskutierenmuss man aber über den Weg, wie der drohende Anstieg der Altersarmut vermieden werden kann. Ich halte dabei die Forderung nach der Einführung einer steuerfinanzierten Grundrente – vor allem, wenn man sie im Sinne der alten Vorschläge von Biedenkopf und Miegel
ausgestaltet – für geradezu kontraproduktiv: Wenn man die Verantwortung des Staates in diesem Bereich auf eine steuerfinanzierte Einheitsrente für alle beschränken will und es darüber hinaus der Eigenverantwortung des
Einzelnen überlässt, für eine weitergehende Absicherung zu sorgen, dann erzeugt man m. E. letztlich nicht weniger, sondern mehr Ungleichheit
und Armutsrisiken im Alter.   mehr

Parti Socialisti auf dem Weg zur Erneuerung?

von Thilo Scholle

Trotz des großen Erfolgs bei den Regionalwahlen im Frühjahr diesen Jahres herrscht in den öffentlichen Debatten in Frankreich nach wie vor Skepsis vor, ob die Parti Socialiste (PS) sich wieder an die Spitze der politischen Linken in Frankreich
setzen kann. Zu beobachten ist allerdings, das sich die neue Parteivorsitzende Martine Aubry trotz ihres äußerst knappen Wahlergebnis mittlerweile
an der Parteispitze etabliert hat. Zudem macht auch die inhaltliche Debatte und Erneuerung der Partei große Fortschritte, wie ein Blick in das am 27. April vom Conseil national und am 29. Mai von einer Convention national der PS verabschiedete Papier Convention nationale sur le nouveau modèle économique, social et écologique zeigt.
mehr

Arbeits-Sinn - Zur Bedeutung von Autonomie, Anerkennung und Sicherheit durch Arbeit - Einleitung zum Schwerpunkt

von Bettina Kohlrausch, Thilo Scholle, Stefan Stache

Trotz anhaltend hoher Arbeitslosigkeit hat sich an der Bedeutung von Erwerbsarbeit nichts geändert. Faktisch besteht nach wie vor das Paradigma, dass gesellschaftliche Integration vornehmlich über Erwerbsarbeit stattfindet. Spätestens seit den Gesetzen „für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ ist klar – und das scheint in dieser Ausprägung eine neue Entwicklung zu sein – dass dieses Paradigma auch für die Organisation von Erwerbslosigkeit und ihrer sozialstaatlichen Einbettung maßgeblich ist. Einerseits manifestiert sich die Entwicklung in Tendenzen zur „Entgrenzung“ von Erwerbsarbeit: Für bestimmte Teile der Erwerbsbevölkerung ist Erwerbsarbeit der absolut dominierende Lebensbereich, neben dem Freizeitaktivitäten oder Zeit mit Freunden und Familie kaum noch möglich sind. Das liegt nicht nur an der quantitativen Ausweitung von Arbeit, sondern auch an einer anderen Organisation von Arbeit. Für einen Teil der Erwerbsbevölkerung sind die Lebensbereiche der „Erwerbstätigkeit“ und „Nicht-Erwerbstätigkeit“ eng miteinander verschränkt und zunehmend schwerer voneinander abzugrenzen.

mehr

Moderne Arbeitnehmer in der Krise: zunehmende Kompetenzen – wachsende Unsicherheit

von Michael Vester, Christel Teiwes-Kügler

Der Wandel der Sozialstruktur und besonders der Arbeitnehmermilieus ist der Gegenstand vielfältiger Spekulationen. In der neuen Weltwirtschaftskrise leben Theorien wieder auf, die die These wiederbeleben, dass die kapitalistische
Wirtschaftsweise zu einer ständig zunehmenden Vereinfachung, Entqualifizierung,
Fragmentierung, Vereinheitlichung und damit Herabdrückung der Arbeit führen würde.
Ihnen stehen Thesen einer „Wissensgesellschaft“ gegenüber, dass sich die Gesellschaft
mit der Anhebung der Berufsqualifikationen in eine Vielfalt selbstbestimmter Individuen
auflösen würde. mehr

Arbeit in der Krise. Oder von der Notwendigkeit, Alternativen zu diskutieren

von Alexandra Scheele

Als im Herbst 2008 deutlich wurde, dass sich die Immobilienkrise in den USA zu einer
globalen Krise nicht nur für die Finanzwirtschaft sondern auch für die Realwirtschaft
ausgeweitet hat und die ersten Unternehmen massive Absatzschwierigkeiten und Produktionsrückgänge beklagten, war die Angst vor einem massiven Anstieg der Erwerbslosigkeit groß. Die damalige große Koalition weitete nicht nur im Eilverfahren die Bezugsdauer für Kurzarbeit aus, sondern zielte mit dem ersten
und zweiten Konjunkturprogramm auf eine Förderung der besonders betroffenen Wirtschaftssektoren, um dort Umsatzeinbrüche und Entlassungen zu verhindern. Dieser Kurs wurde auch von der schwarz-gelben Koalition
weitergeführt.
mehr

Entstehung psychischer Krankheiten in der Arbeitswelt

von Thomas Bär

Jährlich erkrankt knapp ein Drittel der deutschen Bevölkerung an einer psychischen Störung. Die Zahl der Krankschreibungen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Arbeitnehmer sind gehäuft im Dienstleistungssektor aufgrund von psychischen Erkrankungen arbeitsunfähig, insbesondere im Gesundheits- und Sozialwesen, im Erziehungs- und Unterrichtswesen oder in der Telekommunikation. Dies kann als Ausdruck des Wandels der modernen Arbeitswelt interpretiertwerden. Der Dienstleistungssektor gewinnt immer mehr an Bedeutung, was in der Arbeitswelt zu einer Zunahme der psychomentalen Belastungen und einer Abnahme der körperlichen Belastungen führt.  

mehr

Totgesagte leben länger – Über die wechselvolle Karriere des Entfremdungstheorems

von Christina Ujma

Von allen Schlüsselkonzepten der marxistischen Theorie war der Begriff der Entfremdung immer einer von den wenigen, der sich dem sogenannten
bürgerlichen Denken gegenüber als anschlussfähig erwiesen hat. Was nicht wirklich
verwundert, da Marx diesen aus Hegels Phänomenologie des Geistes entlehnte und ihn seiner metaphysischen Dimensionen entkleidet, d.h. versachlicht hat. Aber das ist keine hinreichende Erklärung, denn die Empörung darüber, dass der Kapitalismus Arbeit und ArbeiterInnen zur Sache macht, menschliche Schöpferkraft kalt
kalkulierend zum Kostenfaktor werden lässt, also verdinglicht, wie Marx sagen würde, ist seit dem Frühkapitalismus auch immer wieder zum Ärgernis für Menschen geworden, die der industriellen Produktion oder der Linken fern stehen. Denn Industriearbeit, der der Ruf anhaftet, besonders entfremdet zu sein, da hier
das Individuum dem Rhythmus der Maschinen untergeordnet ist, eignete sich lange zum Aufreger, zumal im 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert deren Arbeitsbedingungen selbst konservative BürgerInnen das Gruseln lehrten.   mehr

Literaturschau

von Cansel Kiziltepe

Kinderspiel Kapitalismus: Hauptsache Performance

von Gesa Rünker

„War das nicht wirklich mal schön am Samstag?“ Meine Kollegin schwärmt, und ich bin verständnislos. Ein müder Montagmittag, meine Stimmung ist mäßig, und mir fehlt gerade der Blick fürs Schöne. „Was war schön?“ „Na, Lena! Dass sie gewonnen hat.“
Diese Antwort erschüttert mich zutiefst und reißt mich jäh aus meinem Phlegma. Die Arbeitskollegin, die da vor mir steht, ist intelligent, gebildet, links, kritisch, jederzeit bereit, Dummheit und Absurdität mit wütenden Worten des Abscheus zu geißeln. Und jetzt das!   mehr

Das Euro-Rettungspaket

von Arne Heise

Als der Euro am 1.1.1999 als gesetzliches Zahlungsmittel in damals 11 Ländern der Europäischen Union eingeführt wurde, war dies für viele der Ausdruck des politischen Einigungswillens in Europa – andere aber trauten der neuen Währung nicht und sahen darin entweder langfristig den Spaltpilz der EU oder – gerade in Deutschland – das Ende der Ära der Preisstabilität, für die die DM über 50
Jahre stand. Heute sehen sich viele Skeptiker bestätigt: Mit der nahen Staatspleite Griechenlands verbanden viele das fatale Dilemma, entweder Griechenland (und vielleicht bald andere EWU-Mitgliedsstaaten) aus der Euro-Zone
auszuschließen bzw. zu befreien oder aber die Prinzipien einer an Preisstabilität orientierten Europäischen Zentralbank (EZB) aufzugeben.
Letztere Befürchtung nährt sich aus der Behauptung, Griechenland sei für seine
Finanzprobleme selbst verantwortlich – eine E(W)U-weite Hilfsaktion würde nur den Anreiz setzen, dass noch mehr Euroländer eine laxe Haushaltspolitik betreiben und deshalb über kurz oder lang die EZB mit einer Inflationierung die Realentschuldung der Staatshaushalte betreiben müsste.
mehr

Die Jugend zurückgewinnen

von Sascha Vogt

Die SPD hat sich nach der verlorenen Bundestagswahl auf den Weg der Erneuerung gemacht. Dieser Weg ist angesichts der Dramatik des Ergebnisses richtig und muss nun konsequent weiter gegangen werden. Dabei wird es nicht ausreichen, einige bescheidene kosmetische Veränderungen der eigenen Regierungspolitik zu beschließen. Vielmehr muss die SPD wieder die Partei werden, die einen Zukunftsentwurf glaubwürdig verkörpert und eine Antwort auf die Frage gibt, wie Gerechtigkeit (und eben nicht nur Fairness) in einer sich verändernden Gesellschaft in praktische Politik übersetzt werden können. Dies gilt umso mehr, wenn die SPD auch die Partei sein will, die ein attraktives Politikangebot für die junge Generation bereithält. Denn in kaum einer anderen Gruppe der WählerInnen waren die Einbußen bei der Bundestagswahl so dramatisch:  Das Ergebnis in dieser Gruppe wurde nahezu halbiert.

mehr

Rezension: Antisemitismus als negative Leitidee der Moderne

von Sascha Howind

Der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn verfolgt in seiner aktuellen, interdisziplinären Studie, mit der er sich jüngst an der Universität Gießen habilitiert hat und die nun im Campus-Verlag erschienen ist, nicht weniger als das Vorhaben, eine Skizze zur politischen Theorie des Antisemitismus zu entwerfen, die den verschiedenen Erscheinungsformen des antisemitischen Ressentiments gerecht wird. Zu diesen
Erscheinungsformen zählt der Verfasser unter anderem den christlich-religiösen Antijudaismus, den biologisch argumentierenden Antisemitismus,
den antizionistischen oder den islamischen Antisemitismus. mehr

Rezension: Erinnerungen an Peter von Oertzen

von Thilo Scholle

Am 16.3.2008 ist Peter von Oertzen in Hannover gestorben. Zwei Publikationen versuchen
nun, die Erinnerung an den ehemaligen spw-Mitherausgeber, sozialistischen Politiker und politischen Wissenschaftler wach zu halten. In dem kleinen Sammelband „Politik für die Sozialdemokratie. Erinnerungen an Peter von Oertzen“ sind Vorträge enthalten, die im September 2009 auf einer u.a. vom SPD-Bezirk Hannover ausgerichteten Veranstaltung gehalten worden sind. mehr

Crossover 2.0, ProMS-Nord - Tagung zur Wirtschaftsdemokratie, Linksreformismus - Call for Papers

Fünf Fragen an... Christian Z. Schmitz

Christian Zlatko Schmitz, geb. 1975 in Trier, ist Diplom-Geograph und Promotionsstipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung. Zwischen 1996 und 1999 war er Vorsitzender des Juso-Bezirkes Rheinland/Hessen-Nassau und von
1999 und 2003 Vorsitzender des Juso-Landesvebandes Rheinland-Pfalz. Er ist heute Vorstandsmitglied der SPD auf kommunaler, regionaler und Landesebene. Seit 1999 und bis 2005 war er Vorstandsmitglied und Vorsitzender in Gremien der deutschen Gewerkschaften auf regionaler, Landes- und Bundesebene und 2001 bis 2003 stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender. Seit 2002 ist er als Gründungsmitglied
im Netzwerk für Demokratie und Courage RLP e.V. tätig und Präsidiumsmitglied
des Interregionalen Gewerkschaftsrates Saar-Lor-Lux-Trier-Westpfalz. usw.  mehr