Ausgabe: spw 180

Wirtschaftsdemokratie - Welche Perspektiven hat die Demokratisierung der Ökonomie?

Einleitung zum Heftschwerpunkt

Wer von den Krisen des Kapitalismus rede, dürfe von einer „Wirtschaft und Gesellschaft jenseits des Kapitalismus nicht schweigen“, mahnte Michael Krätke zu Beginn 2009 in spw. In jüngster Zeit erfährt der Ruf nach einer Demokratisierung der Wirtschaft als Reaktion auf die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise und deren Bewältigung wieder verstärkt Aufmerksamkeit und Unterstützung innerhalb der Gewerkschaften, der progressiven Parteien und der kritischen Wissenschaft. Ausgangspunkt der linken Diskussion ist die Feststellung, dass die jüngste Krise nicht konjunktureller sondern systemischer Art gewesen ist. Im Mittelpunkt
steht das Scheitern des Finanzmarktkapitalismus, der mit wachsender sozialer Spaltung sowie einem massiven Legitimationsverlust der etablierten politischen Institutionen der Parteiendemokratie und ihrer Akteure einher geht. Ob die neoliberale Hegemonie tatsächlichüberwunden werden kann, hängt in entscheidendem Maße von der Fähigkeit der politischen Gegenbewegungen ab, neoliberale
Denkansätze zu delegitimieren und praktische Alternativen zu entwickeln sowie diese im Alltag verschiedener sozialer Milieus zu verankern. Wirtschaftsdemokratie könnte den Kern eines solchen Alternativprozesses bilden.  

Artikel

Inhalt Heft 180

Einleitung zum Schwerpunkt: Wirtschaftsdemokratie - Welche Perspektiven hat die Demokratisierung der Ökonomie?

von Kai Burmeister, Götz Godowski, Stefan Stache

Wirtschafts- und Sozialräte, demokratische Investitionssteuerung, gemeinwohlorientierte Unternehmen und die Verteidigung und Ausweitung der betrieblichen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung: Die Liste wirtschaftsdemokratischer Instrumente ist lang und ihre Elemente nicht klar voneinander abzugrenzen. Wenn Wirtschaftsdemokratie aktuell eine Neuauflage erfahren soll, so ist zunächst unklar, um welche Kommandohöhen der Wirtschaft es gehen soll. Unterhalb der Grundsatzforderung nach mehr Demokratie in der Wirtschaft zeigen sich so vor allem viele weiße Flecken, die auf den langen Stillstand in der politischen Praxis und in der konzeptionellen Debatte rund um Wirtschaftsdemokratie hinweisen.
mehr

Kurzum

von Felix Welti

In der Reform der Grundsicherung wurden von den ermittelten Ausgaben
der Geringverdiener die 8,11 Euro für alkoholische Getränke und 11,08 Euro für Zigaretten gestrichen, um sie durch 2,99 Euro für Mineralwasser zu ersetzen. Der Regelsatz fällt so um 16,20 Euro niedriger aus. Das gilt auch für Moslems, heilt keinen Alkoholiker und kann auch bei Büchern gespart werden. Aber es wurde
ein Zeichen gesetzt. Fragt sich nur, welches. mehr

SPD-Bundesparteitag: Auf dem Weg zu einem linken Fortschritt?

von Ulrike Hiller

Der Bundesparteitag im September in Berlin hatte unterschiedliche Qualitäten: Als „Arbeitsparteitag“ kann der Berliner Parteitag der SPD nicht bezeichnet werden. Zu lange – wenn auch inhaltlich gute – Reden ließen keinen Raum für wirkliche Beteiligung. Bei der unverzichtbaren partzipativ-demokratischen Erneuerung befindet sich die Partei noch eher am Anfang. Noch immer scheint sich das eingefahrene Schwungrad
hierarchischen Politikmanagements weiter zu drehen, wenn auch langsamer und holpriger. mehr

Debatte: Jugend 2010 – mit Optimismus durch die Krise?

von Gudrun Quenzel

Wie gehen junge Frauen und junge Männer mit der Wirtschaftskrise und ihren Folgen
um? Die letzten drei Shell Jugendstudien beobachteten einen Wertewandel hin
zu den handfesten, materielle Sicherheit anstrebenden Orientierungen und Wünschen. Was man sich ersehnt sind Zuverlässigkeit, Sicherheit und Ordnung, dafür ist man als junger Mann und als junge Frau bereit, sich anzupassen und sich in bestehende Strukturen einzugliedern. Für die überwiegende Mehrheit der jungen Menschen sind Familie, Freunde und beruflicher Erfolg von außerordentlicher Wichtigkeit. Diese Ziele werden mit individuellem Einsatz und Geschicklichkeit verfolgt, an einer Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse besteht kaum Interesse.
mehr

Debatte: Wirklich eine zuversichtliche Generation? Und wenn ja: Was heißt das?

von Albert Scherr

Die Shell-Jugendstudien, ehedem das Flaggschiff einer theoretisch fundierten
empirischen Jugendforschung, haben sich zunehmend zu einer Meinungs- und Einstellungsforschung über Jugendliche entwickelt, welche die mediale und politische Nachfrage nach einer leicht verständlichen Einschätzung
der Situation „der Jugend“ bedienen. Entsprechend finden sie regelmäßig breite
öffentliche Resonanz und beeinflussen die öffentliche Einschätzung der Lage der nachwachsenden Generation. Dieser Erfolg hat durchaus seinen Preis: Schon die durchaus diskussionswürdige Frage, ob es sinnvoll und zulässig ist, die Altersgruppe der 12-25jährigen zu vereinheitlichen. 
mehr

Nötig sind nachhaltige Wachstums- und Abnehmprozesse

von Holger Rogall

Angesichts der ökonomischen, ökologischen und sozialen Krise debattiert die Linke
Möglichkeiten nachhaltigen Wachstums, hierzulande zumeist unter dem Label „New
Deal“ oder „ökologische Industriepolitik“. Die Frage ist, ob diese Ansätze ihren Anspruch auf ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Prosperität einlösen

mehr

Wirtschaftsdemokratie – eine Bedingung individueller Emanzipation

von Klaus Dörre

Für lange Zeit als angestaubtes Relikt aus der Mottenkiste des Traditionssozialismus ad acta gelegt, ist Wirtschaftsdemokratie auch in den Sozialwissenschaften wieder zu einem Thema geworden. Allerdings erscheint die Rückbesinnung auf entsprechende Konzepte gegenwärtig eher als Verlegenheitslösung. Angesichts der ökonomisch-ökologischen
Doppelkrise wächst offenbar der Bedarf an Leitbildern, die grundlegende gesellschaftliche Weichenstellungen thematisieren. Vor diesem Hintergrund fällt die programmatische Leere auf, die in den Gewerkschaften, aber auch in
weiten Teilen der politischen Linken herrscht.   mehr

„Neue Wirtschaftsdemokratie“: Impulse, Fundsachen und konzeptionelle wie praktische Herausforderungen in schwieriger Zeit

von Helmut Martens

Die gegenwärtige ökonomische Krise ist bei weitem noch nicht überwunden. Sie ist
auch nicht einfach eine besonders tiefe Delle im „ewigen“ Auf und Ab konjunktureller Entwicklung, wie uns dies das insoweit eher an einem naturwissenschaftlichen Wissenschaftsverständnis orientierte neoliberale Denken suggeriert. Sie ist vergleichbar nur mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 und verweist so auf langfristige Entwicklungen.
mehr

Wirtschaftsdemokratie aus gewerkschaftspolitischer Perspektive

von Jutta Blankau

Ohne Begrenzung und politische Kontrolle wirtschaftlicher Macht werden wir weltweit immer wieder schwere ökonomische Krisen mit Massenarbeitslosigkeit, Wohlstandsverlusten und politisch- demokratischer Destabilisierung erleben. Nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die SPD braucht ein schlüssiges Alternativkonzept zum „Kasino-Kapitalismus“. Anknüpfen können wir an alte Konzepte zur Demokratisierung der Wirtschaft. Die Chancen darüber zu diskutieren sind günstiger als vor einigen Jahren, aber durch den derzeitigen Aufschwung
mit Unwägbarkeiten verbunden. Die neoliberalen Auguren nutzen bereits diesen
Aufschwung, um den neoliberalen Marktradikalismus wieder zu profilieren. Ein Alternativkonzept, das auch die Demokratisierung der Wirtschaft zum Inhalt hat, ist daher zugleich die heutige Herausforderung und die Grundlage für einen politischen Kurswechsel.
mehr

Exile on Mainstreet – Ökonomische Perspektiven jenseits der Wallstreet

von Arno Brandt

Die Weltwirtschaftskrise hat den Finanzmarktkapitalismus zwar in seinen Grundfesten
erschüttert, aber nicht endgültig zur Strecke gebracht. Noch ist nicht entschieden,
ob der Marktfundamentalismus einem Paradigmenwechsel in der ökonomischen Theorie und in der wirtschaftspolitischen Praxis weichen muss. Aber vieles spricht dafür, dass die
große Krise den Anfang vom Ende dieses fast 40 Jahre dominierenden Systems markiert.
Die Krise stellt demnach das Endprodukt des Wandels von realkapitalistischen zu finanzkapitalistischen Rahmenbedingungen dar (Schulmeister 2010).   mehr

Wirtschaftsregierung in der EU

von Lange Bernd

Nachdem der Begriff „Wirtschaftsregierung“ (WR) jahrelang in der EU aus der
wirtschaftspolitischen Diskussion verbannt wurde, macht er nun in den letzten Monaten nach Finanz- und Wirtschaftskrise und Griechenlandturbolenzen Schlagzeilen. Insbesondere der französische Präsident Sarkozy plädiert für ein „Gouvernement Économique“. Allerdings ist unklar, wie der Begriff „Wirtschaftsregierung“ genau definiert wird. Es gibt tatsächlich in der weit entwickelten europäischen Governance-Struktur trotz globalisierter Ökonomie, EU-Binnenmarkt und Währungsunion (EWU), mit
starken Interdependenzen im Bereich der Wirtschafts- und Haushaltspolitik, keine hinreichenden Instrumente. mehr

Genossenschaften: Sozialromantik oder reale Alternative zum Finanzkapitalismus?

von Walter Vogt

Der Shareholder Value erlebte – beflügelt durch die neoliberale Doktrin – seit den 1990er Jahren seinen Aufstieg als dominierender Maßstab für die Steuerung von Unternehmen und zur Messung von Geschäftserfolgen. Folge war die reine Orientierung an kurzfristigen Renditekennziffern zu Lasten eines langfristigen Unternehmenswachstums . Weil eine Vielzahl von selbst vom Shareholder Value getriebenen Banken das Spiel munter mitgemacht hat, mutierte dieser Shareholder-Kapitalismus in einen Finanzkapitalismus, dessen Scherben sich jetzt in einer Finanz- und Wirtschaftskrise globalen
Ausmaßes zeigen.   mehr

Schwierigkeiten mit der Gleichheit

von Christina Ujma

Groß war die Freude der ausländischen Medien über Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab – Wie wir unser Land aufs Spiel setzen – dessen Titel genauso krude daher kommt, wie der Inhalt. Endlich konnte man wieder liebgewonnene Klischees pflegen und über Deutsche schreiben, die seit
dem Faschismus oder schon immer Schwierigkeiten mit der Gleichheit hätten. Während das auf Kohl oder Schröder noch hervorragend passte, ging das kürzlich mit Angela Merkel nicht mehr so einfach, ihre Bemühungen um eine zeitgemäße Frauenpolitik, die zaghaften Versuche mit ethnischen Minderheiten
ins Gespräch zu kommen, blieben nicht unbemerkt. Da ist der ehemalige Berliner
Finanzsenator und Bundesbanker Sarrazin für viele ausländische Presseleute das
ideale Feindbild, denn er stellt das klassische Beispiel des autoritären Vertreters der deutschen Elite dar. mehr

Deutungshoheit auf Schwedisch

von Christian Kellermann

Die Wahlen in Schweden waren dreierlei: Ein Zeichen der Kontinuität für eine bürgerliche Regierungsallianz, der Durchbruch für die rechtspopulistische und fremdenfeindliche Partei der „Schwedendemokraten“ und das schlechteste Ergebnis für die Sozialdemokraten seit beinahe 100 Jahren. Dennoch sind die Sozialdemokraten nach wie vor die stärkste Partei mit knapp über 30 Prozent – wenn auch nur hauchdünn vor der zweitgrößten Partei, den Moderaten von Regierungschef Fredrik Reinfeldt. Zur Wahl vor vier Jahren sind das nochmal fast fünf Prozent weniger für die schwedischen Sozialdemokraten.
mehr

Sammelrezension: Ausgangslagen für ein gemeinsames Projekt? Politische Diskurse im rot-rot-grünen Feld

von Thilo Scholle

Das zentrale Buch zur politischen Lage allgemein und zur Lage der politischen Linken im Besonderen ist auch im Jahr 2010 noch nicht verfasst. Zwar melden sich nach wie vor auch SpitzenpolitikerInnen mit eigenen Werken zu Wort, ein tatsächlicher Diskurs über Inhalte und Strategien der politischen Linken über die Parteigrenzen hinweg hat sich aber noch nicht entwickelt. Dies gilt vielleicht auch deshalb, weil sich alle drei Parteien des noch nicht konstituierten „rot-rot-grünen Blocks“ noch nicht sicher sind, in welche Richtung sie sich eigentlich entwickeln wollen.

mehr

Stichwort zur Wirtschaftspolitik: Basel III

von Arno Heise

Die jüngste Weltfinanzkrise hat die Verletzlichkeit des Bankensystems und die davon wiederum ausgehende Bedrohung des gesamten Finanzsystems aufgezeigt. Gewiss spielte eine ganze Reihe von Faktoren eine Rolle bei der Entwicklung der weltweiten Finanzmarktkrise: die höchst spekulative Vergabe von Immobilienkrediten
(Ponzi-Finanzierung) im Subprime-Segment vor dem Hintergrund des Weiterverkaufs
in informationsverschleiernder Form als strukturierte Verbriefungen oder die dubiose
Rolle der Rating-Agenturen bei der Bewertung dieser Kreditpakete. Aber auch der tatsächliche oder drohende Zusammenbruch einzelner Banken (Lehman Brothers) bzw. sogar des ganzen Bankensystems trugen zur Tiefe und Breite der Krise bei.
mehr

Kinderspiel Kapitalismus: Die Stinkefinger-Hand

von Gesa Rünker

Fünf Fragen an... Barbara König