Ausgabe: spw 173

Kurzarbeit - und dann? Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik gegen die Wirtschaftskrise

Einleitung zum Heftschwerpunkt

„Krise muss woanders sein!“, äußerte jüngst ein Frankfurter Investmentbanker im Einklang mit Kollegen in einer Fernsehreportage. Zumindest in der Finanzwelt scheint zwischen Börse und Afterwork-Party die Stimmung angesichts wieder steigender Aktienkurse und neuer Milliardengewinne der Großbanken glänzend. Auch weite Teile der Politik versuchen mit Blick auf den Wahltag das Bild des „Das Schlimmste liegt hinter uns. Jetzt geht es wieder aufwärts!“ zu zeichnen. Auf den Wirtschaftsseiten finden sich zunehmend Beiträge, die auf wieder steigende Aufträge und eine wieder anziehende Konjunktur hinweisen.

Artikel

Inhalt Heft 173

Einleitung Heft 173

von Claudia Bogedan, Kai Burmeister, Stefan Stache, Till van Treeck

„Krise muss woanders sein!“, äußerte jüngst ein Frankfurter Investmentbanker im Einklang mit Kollegen in einer Fernsehreportage. Zumindest in der Finanzwelt scheint zwischen Börse und Afterwork-Party die Stimmung angesichts wieder steigender Aktienkurse und neuer Milliardengewinne der Großbanken glänzend. Auch weite Teile der Politik versuchen mit Blick auf den Wahltag das Bild des „Das Schlimmste liegt hinter uns. Jetzt geht es wieder aufwärts!“ zu zeichnen. Auf den Wirtschaftsseiten finden sich zunehmend Beiträge, die auf wieder steigende Aufträge und eine wieder anziehende Konjunktur hinweisen. mehr

Mit Cheenji doch noch zum Erfolg?

von Kai Burmeister, Stefan Stache

Erstens, kommt es anders, zweitens als Umfragen es vor Wahlen prognostizieren. Was bedeuten die Wahlergebnisse vom August für die Perspektiven der SPD? Bei Licht betrachtet stellt sich nach der Wahlparty zunächst Ernüchterung ein: 24,5, 18,5 und 10,4 Prozent sind objektiv kein Anlass, um eine Trendwende glaubhaft verkünden zu können. Der neue Optimismus der Sozialdemokratie speist sich aus drei Quellen:   mehr

Gerechte Steuerpolitik gegen die Kosten der Krise

von Wolfgang Rhode

Die Wirtschaftslage stabilisiert sich. Wenn die Krise auch noch längst nicht überwunden ist, so wird es doch Zeit, den Blick auf die fiskalischen Kosten zu richten. In der Krise brechen die Steuereinnahmen ein und die Ausgaben steigen. Die Bundesregierung hat der Versuchung widerstanden, diesen Kosten hinterher zu sparen. Das war richtig, die Folgekosten wären ungleich größer gewesen.   mehr

Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in der Krise

von Claudia Bogedan, Alexander Herzog-Stein

1. Der deutsche Arbeitsmarkt in der Krise

Die derzeitige Wirtschaftskrise hat ein Ausmaß und eine Tiefe erreicht, wie sie seit der Weltwirtschaftkrise 1929 nicht mehr zu beobachten war. Gleichzeitig ist bislang die Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt moderater verlaufen, als aufgrund des Einbruchs der Produktion von Gütern und Dienstleistungen in Deutschland und im Rest der Welt zu erwarten gewesen wäre. Nach Berechnungen von Eurostat ist im Euro-Raum die Arbeitslosenquote innerhalb eines Jahres um einen Prozentpunkt auf 9,3 Prozent im zweiten Quartal 2009 angestiegen, während in Deutschland im selben Zeitraum die Arbeitslosenquote lediglich um 0,3 Prozentpunkte auf 7,7 Prozent zugenommen hat. Es scheint, dass bislang das Kurzarbeitergeld im Zusammenspiel mit anderen Konjunkturmaßnahmen erfolgreich einen „Schutzschirm“ für den Arbeitsmarkt gegen die unmittelbaren Auswirkungen der aktuellen Wirtschaftskrise bildete. Es steht allerdings zu befürchten, dass mit zunehmender Dauer der Krise dieser „Schutzschirm“ dem wachsenden Druck nicht standhalten kann. Ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit und eine Ausweitung auch auf bislang wenig betroffenen Branchen ist ab der zweiten Jahreshälfte 2009 und im kommenden Jahr zu erwarten und, es ist nicht auszuschließen, dass zum Jahreswechsel 2010/2011 wiederum mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland registriert arbeitslos sein werden.   mehr

Arbeitszeitverkürzung

von Jürgen Kromphardt

Zur Sicherung der Beschäftigung in der Krisewerden zurzeit zwei bestimmte Formen gezielter Arbeitszeitverkürzung in Deutschland in großem Umfang herangezogen: Es sind derzeit deutlich mehr als eine Million ArbeitnehmerInnenInnen in Kurzarbeit versetzt. Dabei sinkt ihr Einkommen dank des Kurzarbeitgeldes deutlich weniger als ihre Arbeitszeit. Zuvor mussten viele ArbeitnehmerInnen ihre auf Jahresarbeitskonten angesammelten Guthaben in Anspruch nehmen: Ihre tatsächliche Arbeitszeit wurde reduziert (als Korrektur vorangegangener Arbeitszeitverlängerung), ihr Einkommen aber floss unberührt weiter.   mehr

Beschäftigungsaufbau durch soziale Dienstleistungen

von Martin Beckmann

In modernen Volkswirtschaften hat sich in den letzten Jahrzehnten ein wirtschaftlicher Strukturwandel vollzogen. Während noch in den 50er und 60er Jahren in Deutschland eine Mehrheit in der Industrie erwerbstätig war, arbeiten seit Mitte der 1970er Jahre mehr als 50 Prozent der Beschäftigten im Dienstleistungssektor. Mittlerweile liegt der Beschäftigtenanteil in ihm bei über 70 Prozent und auch sein Beitrag zur Wertschöpfung befindet sich auf einem vergleichbaren Niveau. mehr

"Bringing (Anti-)Capitalism back in!" Neue Landnahme und ökosozialer New Deal

von Klaus Dörre

„Bringing Capitalism back in“, überschreibt der Sozialwissenschaftler Wolfgang Streeck (2009) das Schlusskapitel seines neuen Buchs. Das ist schon deshalb interessant, weil die Zeile vom einstigen Vordenker einer Politik stammt, die die Herausforderungen wirtschaftlicher Internationalisierung im Rahmen einer angebotskorporatistischen Strategie („Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit“) zu meistern gedachte. Für Streeck sind es denn auch politische Blockierungen einer moderaten, korporativ gesteuerten Modernisierung, die schließlich eine ungleich härtere, finanzmarktgetriebene Anpassung des koordinierten Kapitalismus an die neue weltwirtschaftliche Konstellation erzwungen haben. Aber war es wirklich der „sozialstaatliche Konservatismus“ maßgeblicher Akteure, der die deutsche Variante eines „dritten Weges“ (Giddens 1998) jenseits von Neoliberalismus und wohlfahrtsstaatlichem Etatismus scheitern ließ? Zweifel sind angebracht. „Bringing Capitalism back in!“ heißt auch, die Grenzen des Wettbewerbskorporatismus analytisch klar zu benennen. Ein neues Reformprojekt lässt sich in der finanzkapitalistischen Ära nicht auf Sozialpartnerschaftsvorstellungen gründen, die der Zeit des „sozialbürokratischen Kapitalismus“ entstammen. Ein ökosozialer New Deal, wie er nun als Ausweg aus der Krise diskutiert wird, hat zumindest als emanzipatorisches Projekt nur eine Chance, wenn er Unterstützung durch eine breit angelegte, partizipatorische und vor allem antikapitalistische Politik erhält.   mehr

Lösungen unterstützen, die aus Afghanistan selbst kommen

von Ingeborg Baldauf

spw: Die Invasion der NATO in Afghanistan dauert nun fast acht Jahre, ein Ende ist – trotz zahlreicher Forderungen – nicht abzusehen. Sind die Herzen und Köpfe der Afghanen mit dieser Invasion überhaupt zu gewinnen?

»I.B.: Der Ausspruch über die „hearts and minds“ jedenfalls ist ähnlich lächerlich wie der mit der „Verteidigung Deutschlands am Hindukusch“. Gemeint ist vermutlich, dass man keine Befriedung und keinen Aufbau an der Bevölkerung vorbei machen möchte, was grundsätzlich eine lobenswerte Absicht ist. Überzogen wäre es jedoch, wenn die ausländischen Mächte dafür geliebt werden wollen. Hat in Deutschland jemand die USA für den Marshall-Plan geliebt? Statt Liebe oder Dank zu erwarten, sollten man sich vielleicht besser an die eigene Nachkriegserfahrung erinnern. Anerkennung ist vielleicht das Höchste, das man erreichen kann, und darum sollte man sich bemühen.

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Liberalisierung der Elektrizitätswirtschaft: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

von Heinz-J. Bontrup, Ralf-M. Marquardt

1. Paradigmenwechsel in der Elektrizitätswirtschaft:
Hohe Ansprüche

Elektrizität zählt als Basisgut zur Daseinsvorsorge. Daher wurde die Stromversorgung lange Zeit als zu wichtig eingestuft, um sie den Marktkräften zu überlassen. Mit der technologischen Entwicklung hin zu kleineren leistungsfähigen Kraftwerken und der Verbreitung des Neoliberalismus wurden aber auch hierzulande vor über 10 Jahren die Elektrizitätsmärkte liberalisiert.

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Rezension: Ulrich Brand / Nicola Sekler (Hrsg.) Postneoliberalism – A beginning debate

von Cordula Drautz, Thilo Scholle

Über die Krise(n) des Kapitalismus wird spätestens seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 weltweit bis in die Feuilletons konservativer Zeitungen hinein diskutiert. Gerade in linken Diskursen spielt dabei die Frage, ob wir ZeugInnen des Endes des „neoliberalen Zeitalters“ werden, eine große Rolle.   mehr

Deutsche Wirklichkeit verändern. Jusos unterwegs

von Franziska Drohsel

Die Integrationskraft der 70er Jahre scheint aufgebraucht, die Unterordnung der Politik unter das Primat der direkten ökonomischen Effizienz hat sowohl das gesellschaftliche Klima zerstört als auch eine längst für tot erklärte Klasse wieder auferstehen lassen.   mehr

Stichwort zur Wirtschaftspolitik: Inflationsängste und Deflationsgefahren

von Arne Heise

Die Weltwirtschaft ist im vergangenen Jahr in die erste wahrlich globale Krise seit den 1930er Jahren geraten. Weltweit sind die Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes zusammengebrochen, in der EU und auch in Deutschland zeigt sich 2009 ein negatives Wachstum von bisher unbekanntem Ausmaß. Die Arbeitslosigkeit steigt, mit leichter zeitlicher Verzögerung, deutlich an – oder wird, wie in Deutschland, noch durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (Kurzarbeit) abgefedert.   mehr

Kurzum

von Felix Welti

Die meisten Menschen in Deutschland wollen allgemeinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Sie wollen dabei sozialen Ausgleich zwischen arm und reich und Risikoausgleich zwischen gesund und krank. CDU/CSU wissen das auch. Den Krankenversicherungsbeitrag auf eine Kopfpauschale umzustellen, haben sie nicht mehr ins Wahlprogramm 2009 geschrieben. Nach der Finanzkrise glauben nicht mehr viele, dass jetzt ein privates kapitalgedecktes Krankenversicherungssystem gebraucht wird. Nur die FDP fordert das vor dieser Wahl. Die Privatversicherung ist in Deutschland längst nicht mehr das Ideal, ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Privilegien werden als anachronistisches Ärgernis wahrgenommen. Barack Obama und die Demokraten nehmen einen neuen Anlauf für mehr allgemeine und öffentliche Versicherung in den USA. Und auch unter den deutschen Ärztinnen und Ärzten wächst im Angesicht privater Krankenhausketten die Skepsis gegen Privatisierung und Deregulierung.

Kurzum: Eigentlich sind Zeit und Stimmung gut für die sozialdemokratische Forderung nach einer Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege.  

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Pro und Contra Bologna-Prozess

von Andreas Keller, Wolf-Dieter Narr

Ist die „Schuldenbremse“ unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit gerechtfertigt?

von Rudolf Zwiener

In der öffentlichen Debatte zur Schuldenbremse wird diese häufig mit ihrer vermeintlichen Gerechtigkeit gegenüber zukünftigen Generationen begründet. Im Kern wird dabei argumentiert, dass ein Verzicht auf zusätzliche Verschuldung, wie er mit der Schuldenbremse verfassungsmäßig erzwungen werden soll, den künftigen Generationen nützen würde, weil diese dann nicht für die Zinslast dieser Verschuldung aufkommen müssten. Es wird dabei so getan, als würde (und könnte) die derzeitige Generation ihr Wohlfahrtsniveau auf Kosten zukünftiger Generationen einfach dadurch erhöhen, dass sie Staatsausgaben jedwelcher Art auf Pump und nicht über Steuern finanziert. Während wir heute durch zusätzliche Kredite über unsere Verhältnisse lebten, müssten später unsere EnkelInnen diese Schuldenlast abtragen oder zumindest die Zinsen dieser Schulden durch dann vergleichsweise höhere Steuern tragen, ohne dass sie in den Genuss der Ausgaben gekommen wären. Eine Ungerechtigkeit, die jeder sofort einsieht und die es abzustellen gilt.   mehr

Kinderspiel Kapitalismus: Auto

von Gesa Rünker

„Ich habe es genau durchdacht“, sagt mein Mann, „Ende Oktober läuft der Leasingvertrag für`s Auto aus. Dann brauchen wir eigentlich keinen eigenen Wagen mehr.“

Die Aussage erschüttert mich - obwohl ichselber gar nicht fahre, denn mit guten Gründen erhalten blinde Menschen keinen Führerschein. Aber vielleicht trifft mich die Idee des Verzichts auf ein Auto, gerade weil ich nicht fahren kann. Denn ich würde gern. Schnell und schnittig, zwar rücksichtsvoll bremsend, wenn nötig – aber doch sportlich und rasant, ich hätte Spaß daran! „Du Öko-Sau“, sagen ökologisch orientierte KollegInnen zu mir, als ich einmal meine Idee vom persönlichen Autofahrgefühl in einer Redaktionskonferenz entwerfe.

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5 Fragen an… Jessika Wischmeier

von Jessika Wischmeier

Jessika Wischmeier, Jahrgang 1965, studierte Pädagogik, Psychologie und Soziologie und begann ihre berufliche Laufbahn mit pädagogischer Jugendarbeit. Sie war 1999 bis 2001 Bundesgeschäftsführerin der Jusos und anschließend Referentin der Parteischule beim SPD-Parteivorstand. 2002 bis 2007 war sie Geschäftsführerin des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie, die letzten zwei Jahre kommissarische Leiterin der Abteilung Politik/ Koordination/Zielgruppen beim SPD-Parteivorstand. Seit 2007 leitet Jessika Wischmeier das persönliche Büro des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Neben ihren Schwerpunkten Forschungs- und Technologiepolitik hat sie sich mit einem Dialog zwischen Jugend und Sozialdemokratie beschäftigt. Sie war an den Wahlkämpfen 2002 und 2005 als Kampa-Mitglied beteiligt. mehr