Ausgabe: spw 172

Integration und Diskriminierung - blinde Flecken der öffentlichen Debatte

Einleitung zum Heftschwerpunkt

Dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, wird in öffentlichen Debatten kaum noch bestritten. Nach den letzten Erhebungen des Statistischen Bundesamtes haben 15,3 Millionen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund. Trotzdem ist die öffentliche Debatte um Migration und Integration nach wie vor von großer Anspannung, Nervosität und Vorurteilen geprägt. Zwar wird zumeist zugestanden, dass „Integration keine Einbahnstraße“ ist.

Die nahe liegende Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis, nämlich kulturelle, religiöse und ethnische Vielfalt zunächst einmal anzuerkennen und gemeinsam zu gestalten, ziehen viele ProtagonistInnen des Integrationsdiskurses daraus  jedoch nicht. Im Gegenteil – die große Mehrzahl der praktischen Handlungsansätze und Vorschläge konzentriert sich ausschließlich auf Forderungen, die an die Gruppe der MigrantInnen gerichtet sind. 

Artikel

Inhalt Heft 172

Einleitung: Integration und Diskriminierung Blinde Flecken der öffentlichen Debatte - Einleitung zum Schwerpunkt

von Asiye Öztürk, Thilo Scholle

Dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, wird in öffentlichen Debatten kaum noch bestritten. Nach den letzten Erhebungen des Statistischen Bundesamtes haben 15,3 Millionen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund. Trotzdem ist die öffentliche Debatte um Migration und Integration nach wie vor von großer Anspannung, Nervosität und Vorurteilen geprägt.   mehr

Internetsperren sind kein Mittel gegen Kinderpornografie

von Björn Böhning

Symbolpolitik ist die Kür des Wahlkampfjahres. Ein besonders schlimmes und in der Konsequenz weitreichendes Symbol hat sich die Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen ausgedacht und die SPD gleich mit in den Strudel gezogen. Mit einem „Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten in Kommunikationsnetzen“ hat die große Koalition die Tür weit geöffnet, das Sperren von Internetseiten technisch und politisch umzusetzen. Dieses Gesetz ist eine Loose-Loose-Lösung: Es verhindert die Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten im Netz nicht und schafft gleichzeitig die Voraussetzung dazu, die Meinungsfreiheit im Netz einzuschränken. mehr

Pro und Contra: Kapitalbeteiligung der Beschäftigten an Unternehmen

von Heinz-J. Bontrup, Michael Krätke

Es darf keinen Ort geben, der nicht demokratischen Prinzipien folgt

von Andrea Nahles

spw: Die SPD erhielt im Juni das schlechteste Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl seit dem Zweiten Weltkrieg. Kritischen Analysen zufolge existiert ein Teil der Stammwählerschaft nicht mehr. Die Partei muss sich einerseits von neoliberalen Kräften abgrenzen, anderseits schließt sie aber Koalitionen mit der FDP nicht aus. Welche Strategie ist jetzt glaubwürdig?

Nahles: Gegenüber der Bundestagswahl 2005 haben wir bei der Europawahl Wähler verloren an Grüne und Union, weniger an die FDP und noch weniger an die Linkspartei. Aber dreieinhalb mal so viele Wähler wie an alle anderen Parteien zusammen haben wir an die Nichtwählerinnen und Nichtwähler verloren. Deshalb müssen wir uns auf diejenigen konzentrieren, die eine sozialdemokratische Politik wollen, aber trotzdem bei Wahlen zu Hause bleiben. Dabei helfen keine Farbspielchen. Es gilt: Je stärker die SPD, umso sozialdemokratischer die Politik. Deshalb müssen wir jetzt rot pur stark machen. mehr

Potentiale erkennen - Integration durch aktive Bildungsbeteiligung und berufliche Qualifikation

von Ursula Boos-Nünning

1. Die Ausbildungssituation von jungen Menschen mit Migrationshintergrund heute Neben dem Beherrschen der deutschen Sprache wird die Teilnahme an einer beruflichen Qualifizierung möglichst in Form einer Berufsausbildung als Voraussetzung für die Integration von jungen Menschen mit Migrationshintergrund angesehen. Nur mittels dieser besteht eine Chance auf eine existenzsichernde berufliche Tätigkeit, die ihrerseits die Option auf ein sozial und persönlich befriedigendes Leben in Deutschland eröffnet. Vor allem liegen die Konsequenzen einer fehlenden beruflichen Ausbildung auf der Hand: In Deutschland aufgewachsene junge Menschen mit Migrationshintergrund ist der Zugang zu qualifizierten beruflichen Positionen verbaut.   mehr

Wohnraum und Diskriminierung

von Tülin Kabis-Staubach

Antidiskriminierungsarbeit in NRW als Modellvorhaben Diskriminierung auf Grund der Rasse (Hautfarbe), ethnischen Herkunft oder Religion auf den lokalen und regionalen Wohnungsmärkten bilden den Fokus des Integrationsprojektes, das neben anderen Projekten in Aachen, Duisburg, Köln und Siegen im Jahre 1997 als Modellvorhaben gestartet wurde. Die in das Antidiskriminierungsnetzwerk aufgenommenen Projekte beschäftigen sich mit integrationsrelevanten Bereichen wie Arbeitsmarkt, Medien, Polizei, Verwaltung und Wohnen (siehe dazu www.nrwgegendiskriminierung.de).   mehr

Die üblichen Verdächtigen? MigrantInnen, Minderheiten und die Strafverfolgung

von Christian Walburg

Einwanderung und größere ethnisch-kulturelle Vielfalt bergen auch für die formellen Instanzen sozialer Kontrolle, Polizei und Strafjustiz, Herausforderungen. Vielfach werden in diesem Zusammenhang vor allem neue Konfliktpotenziale erörtert, die sich aus dem Zusammenleben in einer Einwanderungsgesellschaft ergeben können. Dabei geht es um das Erstarken von Feindbildern entlang ethnisch-kultureller Kategorien bis hin zu gewaltsamen Übergriffen auf Andersfarbige, -gläubige etc., aber auch um mögliche Folgen einer dauerhaften sozialen Ausgrenzung ganzer (zumal junger) Bevölkerungsgruppen. Für Polizei und Justiz muss es bei alledem in erster Linie darum gehen, die Gleichheit aller vor dem Gesetz, einen der zentralen Grundsätze des Rechtsstaats, unter den Bedingungen einer Einwanderungsgesellschaft zu gewährleisten. mehr

Neue Wege für die deutsche Migrations- und Flüchtlingspolitik

von Marei Pelzer

Es bedarf einer grundlegenden Neuausrichtung der Migrations- und Flüchtlingspolitik in Deutschland. Zwar bekennen sich heutzutage die maßgeblichen politischen Akteure dazu, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist -dies stellt zumindest ein auf rhetorischer Ebene einen Fortschritt dar - die Schlussfolgerungen aus dieser Erkenntnis sind allerdings die falschen. Derzeit stellt die herrschende Politik das Thema Integration der hier lebenden MigrantInnen in den Vordergrund. Aus Sicht der Union ist Messlatte für eine erfolgreiche Integration vor allem der Erwerb der deutschen Sprache. Mit dieser Fokussierung auf den Spracherwerb werden Migrantinnen und Migranten immer wieder als Integrationsverweigerer konstruiert, wenn sie die Sprachanforderungen nicht erfüllen. Dieser Ansatz vernebelt das staatliche Versagen, wenn es um eine auf gesellschaftliche Teilhabe aufbauende Integrationspolitik geht. Es werden soziale Benachteiligungen und Diskriminierungen von Migrantinnen und Migranten, für die eine verfehlte Politik verantwortlich ist, aus dem Blickfeld genommen.   mehr

Kurzum

von Horst Peter

„Die Ideologie, die uns in die Krise geführt hat, kann doch nicht die Antwort auf die gegenwärtige Krise sein“. Der Beifall der Parteitagsdelegierten auf diese eher beiläufig in einen Nebensatz gepackte Aussage zeigt, dass die Partei auf einen auch ideologisch begründeten Richtungswahlkampf wartet. Das ernüchternde Europawahlergebnis belegt, dass die Wähler einen reinen Konfrontationswahlkampf, der sich unterschiedslos von den Mitbewerbern abgrenzt, dazu noch mit lockeren Sprüchen wie „heiße Luft“, „Dumpinglöhne“, „Finanzhaie“ und dem Gegenbild des „Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz“ nicht belohnt. Deshalb können wir nicht ohne Analyse dessen, was schief gelaufen ist, einfach in den nächsten Wahlkampf durchstarten.  mehr

Diskriminierung und Diskriminierungsschutz in Deutschland

von Banu Bambal

Für Deutschland ergibt sich aus verschiedenen internationalen und europarechtlichen Abkommen die Verpflichtung, eine Politik zur Beseitigung jeglicher Form von Diskriminierung und zur Verwirklichung gleichberechtigter Teilhabe aller zu verfolgen ein Handeln, das sein Selbstverständnis in dem Ausdruck Antidiskriminierung findet. Ein nur erster, dennoch wesentlicher Schritt zur Realisierung dieser Politik war die Umsetzung der vier europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien in innerstaatliches Recht, der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im August 2006. Das Gesetz zielt darauf, Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Viele potentiell von Diskriminierung Betroffene verfügen überhaupt erstmals über einen direkt einklagbaren Gleichbehandlungsschutz. Indes wird die effektive Umsetzung dieser gesetzlichen Regelung entscheidend davon abhängen, wie noch bestehende rechtliche Hürden z.B. die häufig schwierige Beweislage, das Fehlen eines Verbandsklagerechts oder die mangelnde Infrastruktur von Beratungsstellen verändert werden können, die/der Einzelne ihr/sein Recht auf Gleichbehandlung durchsetzen kann.  mehr

Vorstellungen von „den Anderen“ und gelebte Realitäten: Wie Integration über Kontakte und Beziehungen (erst) ermöglicht wird

von Baris Ceyhan

Die Frage nach Integrationsrezepten wird seit langem kontrovers diskutiert. Die Ermöglichung von Teilhabe und das Erweisen von Loyalität sind nur zwei Enden des aktuellen Diskurses. In diesem Artikel wird nach einer Annäherung an die Begriffe Segregation und Integration anhand einer Studie von Böltken nachgezeichnet, wie Kontakt im Wohnbereich die Integrationsbereitschaft von Deutschen und AusländerInnenInnen beeinflusst. mehr

Stichwort zur Wirtschaftspolitik: Insolvenz – Ende oder Neuanfang?

von Arne Heise

Nachdem zunächst die jüngste Wirtschaftsentwicklung weltweit mit den Begriffen ‚Rezession’ und ‚Krise’ noch sehr pauschal umschrieben wurde, bekommt sie langsam ein Gesicht: Immer mehr, teilweise spektakuläre drohende Firmenpleiten bestimmen die Nachrichten: Opel, ARCANDOR, Schaeffler ….   mehr

Offener Brief zum Bildungsstreik 2009

von Mathias Lomb

Sehr geehrteFrau Bundesbildungsministerin Schavan,
schon im Frühjahr haben Sie den Begriff „gestrig“ verwendet. In einem Interview mit der WirtschaftsWoche zum Thema Konservatismus sagten Sie, „wer Bewahren als Stillstand begreift, wer glaubt, dass Bewahren heißt, nichts ändert sich, wird verlieren, was er bewahren will. Konservativ darf niemals ‚gestrig’ bedeuten“. Vorweggenommen haben Sie die Aussage, Ihre Partei „muss in einer sich wandelnden Gesellschaft den Wandel gestalten und damit neue Gruppen erschließen“. Recht haben Sie!   mehr

Brauchen wir den Kampf um Verfassungsfragen?

von Horst Peter

Michael Buckmiller, Joachim Perels und Uli Schöler haben mit der Herausgabe des zweiten Bandes der gesammelten Schriften Wolfgang Abendroths 1949 bis 1955 (Offizin Verlag Hannover 2008) zum 60sten Jahrestag des Grundgesetzes und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland einen wichtigen linken Akzent gesetzt. Wolfgang Abendroth steht als herausragender Verfassungsjurist der Sozialdemokratie gewissermaßen als Kronzeuge für die durchaus umstrittene Interpretation des Grundgesetzes zu Anfang der Geschichte der Bundesrepublik. Seine Interpretation des demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beeinflusste in dieser Zeit wesentlich die sozialdemokratische Gesellschaftspolitik und die politische Strategie der Gewerkschaften. Sie sind aber auch angesichts der neoliberalen Angriffe auf den Sozialstaat der Bundesrepublik, gewerkschaftliche Grundpositionen und der prinzipiellen Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die sich in diesen Tagen zeigt, von aktueller Bedeutung für einen linken Diskurs.   mehr

Kein Vaterland, nirgends? Aktuelle Bücher zur Integrationsdebatte

von Thilo Scholle

Die Buchproduktion rund ums Thema Integration hat in den letzten Jahren ein kaum noch überschaubares Angebot an Texten hervorgebracht. Ins Auge fallen in den großen Buchkaufhäusern zumeist Erfahrungsberichte von Migrantinnen mit muslimischem Hintergrund über erlittenes persönliches Leid, sowie Bücher zum Themenkomplex Islam. Diese Auswahl spiegelt auch die Schwerpunkte des aktuellen öffentlichen Diskurses wieder, der die Frage von Integration und gesellschaftlichen Chancen für MigrantInnen oft auf die Frage reduziert, ob „der Islam“ für die deutsche Gesellschaft gefährlich ist, oder nicht. mehr

Personen und Positionen

Kinderspiel Kapitalismus: Nicht ohne mein iPhone…

von Alexandra Kramm

Reiten, Schwimmen, Tennis spielen konnte man damit – das versprach eine Werbung in den achtziger Jahren allen Frauen. Heute ist die Zielgruppe größer und das Produkt deutlich komplexer, aber man kann damit erst recht fast alles machen. Das iPhone ist einfach der o.b.-Tampon der heutigen Zeit. Hier meine Top 3, warum wir im Alltag auf dieses handschmeichelnd gestylte Telekommunikationsprodukt nicht mehr verzichten können: mehr

5 Fragen an… Sebastian Vollmer

von Sebastian Vollmer

Sebastian Vollmer, Jahrgang 1980, studierte an der Universität in Göttingen Mathematik und Volkswirtschaftslehre. In diesem Jahr hat er dort seine Promotion in Volkswirtschaftslehre abgeschlossen. Sein politisches Engagement begann 1999. Bei den Jusos wurde er 2002 das erste Mal in den SprecherInnenrat des Juso-Bezirks Hannover gewählt. 2006 bis 2007 folgte eine weitere Amtszeit als Sprecher. Seit 2003 ist er Beisitzer im SPD-Bezirksvorstand Hannover und arbeitet in der schulpolitischen Kommission mit. Auf Bundesebene hat er seinen Bezirk im NWLZ (Netzwerk linkes Zentrum) vertreten und das konstruktiv-diskussionsfreudige Profil geschärft. Beruflich ist er zurzeit als Post-Doc an der Universität Hannover tätig. Im September wird er für ein Jahr nach Harvard gehen. Sebastian lebt in Kreiensen, wo er auch Vorsitzender des Ortsvereins ist. mehr