Ausgabe: spw 170

Linke Hegemonie? Die Krise des Neoliberalismus nutzen

Einleitung zum Heftschwerpunkt

„Der Neoliberalismus ist gescheitert, das System fährt gegen die Wand“ – diese und ähnliche Analysen finden sich seit dem Ausbruch der Finanzkrise zunehmend als Kommentare in Medien des politischen Mainstreams und nicht nur in den Analysen linker PolitikerInnen und Parteien. Dass kapitalistische Systeme krisenanfällig sind, ist keine neue Erkenntnis. Dass diese Krisen in der Folge nicht zwangsläufig in einen Verlust der gesellschaftlichen Legitimität der Wirtschaftsordnung führen, hat die radikalreformerische Linke in den letzten einhundert Jahren immer wieder erfahren müssen. Auch in der aktuellen Krise ist offen, wie sich die politische und gesellschaftliche Regulierung von Ökonomie weiter entwickelt. In spw 1/2009 haben wir diskutiert, wie ein globaler „New Deal“ für wirtschaftliches Wachstum und soziale Entwicklung aussehen kann. Ob es gelingt, ein solches anderes Regulierungsmodell für den Kapitalismus an die Stelle der bisherigen neoliberalen Orientierung zu setzen, wird von der Strategie- und Hegemoniefähigkeit der Linken abhängen. Zwar hat in den letzten Monaten Kritik an „Gier und Habsucht“ der Manager die politische Debatte bestimmt. Auch Zeitungen des (wirtschafts-)politischen Mainstreams wie die „Zeit“ begannen die Frage nach Zustand und Zukunft des Kapitalismus zu diskutieren. 


Ein kurzer Blick auf die Situation der politischen Debatte in Deutschland lässt jedoch erwarten, dass dieses kurze systemkritische Intervall bald wieder vorbei sein wird. Fortschritte bei der Regulierung von Finanzmärkten sind bislang nicht erfolgt. Die
Rettung der in Schieflage geratenen Banken erfolgt unter enormem öffentlichem Kapitalaufwand, ohne zugleich ernsthafte öffentliche Einflussmöglichkeiten auf die Banken selbst zu schaffen. Die Lageanalysen des konservativen und liberalen Lagers beginnen zudem wieder die Parole zu verbreiten, dass es nach einigen kurzen Reparaturakten bald wieder zum Status Quo ante der ökonomischen (Nicht-)Regulation zurückgehen soll.
   

Dass ein politisches Projekt nicht durch schlichte Parlamentsbeschlüsse und anschließendes Verwaltungshandeln umgesetzt werden kann, ist eine banale Erkenntnis. Das neoliberale Reformprojekt der letzten Jahrzehnte wurde lange politisch und ideologisch vorbereitet. Mit entscheidend war, dass die konkret vorgeschlagenen politischen und ökonomischen Maßnahmen auf breite Zustimmung der gesellschaftlichen Eliten bis in Parteien und Akteure der klassischen Arbeiterbewegung hinein stießen.

Artikel

Inhaltsverzeichnis spw 170

Einleitung der spw 170

von Cordula Drautz, Thilo Scholle

„Der Neoliberalismus ist gescheitert, das System fährt gegen die Wand“ – diese und ähnliche Analysen finden sich seit dem Ausbruch der Finanzkrise zunehmend als Kommentare in Medien des politischen Mainstreams und nicht nur in den Analysen linker PolitikerInnen und Parteien. Dass kapitalistische Systeme krisenanfällig sind, ist keine neue Erkenntnis. Dass diese Krisen in der Folge nicht zwangsläufig in einen Verlust der gesellschaftlichen Legitimität der Wirtschaftsordnung führen, hat die radikalreformerische Linke in den letzten einhundert Jahren immer wieder erfahren müssen. Auch in der aktuellen Krise ist offen, wie sich die politische und gesellschaftliche Regulierung von Ökonomie weiter entwickelt. In spw 1/2009 haben wir diskutiert, wie ein globaler „New Deal“ für wirtschaftliches Wachstum und soziale Entwicklung aussehen kann. Ob es gelingt, ein solches anderes Regulierungsmodell für den Kapitalismus an die Stelle der bisherigen neoliberalen Orientierung zu setzen, wird von der Strategie- und Hegemoniefähigkeit der Linken abhängen. Zwar hat in den letzten Monaten Kritik an „Gier und Habsucht“ der Manager die politische Debatte bestimmt. Auch Zeitungen des (wirtschafts-)politischen Mainstreams wie die „Zeit“ begannen die Frage nach Zustand und Zukunft des Kapitalismus zu diskutieren.   mehr

Perspektiven der SPD für die Bundestagswahl

von Ralf Stegner

Die Wirtschaftsinstitute überbieten sich mit Negativprognosen, im Bund wird über ein drittes Konjunkturpaket spekuliert, in den Ländern droht vielen Betrieben das Aus und vielen Beschäftigten die Arbeitslosigkeit. Ursache ist, so die fast einhellige Meinung, der Marktradikalismus der letzten Jahre. »Dennoch gibt es demoskopische Höhenflüge von FDP und teilweise der CDU, obwohl sie seit Jahren der Deregulierung das Wort reden. Ich habe gelesen, dass das Umfragehoch von schwarzgelb viel mit einem Grundvertrauen in deren Wirtschaftskompetenz zu tun hat. Wenn dies stimmt, können wir den Kampf um das Vertrauen in die Lösungskompetenz nur dann erfolgreich führen, wenn wir deutlich machen, dass die jetzige Krise weit über eine Krise der Finanzmärkte hinausgeht und das gesamte System des Marktradikalismus versagt hat.   mehr

Für einen Krisen-Soli

von Florian Pronold

Meine Forderung nach Einführung eines Krisen-Solis für Reiche geht von folgendem Grundgedanken aus: Spitzenverdiener und Vermögende werden immer reicher und zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine sehr hohe Sparquote haben. Um aber die Wirtschaftskrise zu überwinden, müssen wir die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigern. Für die privaten Haushalte heißt dies, sie zum Konsum anzuregen. Gerade in Zeiten der Krise aber neigen die Leute zu einem – aus volkswirtschaftlicher Sicht – falschen Verhalten und sparen noch mehr. Dies verschlimmert die Krise noch weiter. Diese Konsum dämpfende Wirkung müssen wir kompensieren. Deshalb plädiere ich dafür, Spitzenverdiener mehr zu belasten und Geringverdiener zu entlasten. Breite Schultern müssen mehr tragen als schmale Schultern.   mehr

Ganz klar sehen wir eine Krise des ökonomischen Denkens

von Sebastian Dullien

spw: Hat die Bundesregierung angemessen auf die Turbulenzen im Finanzsystem und den realwirtschaftlichen Wachstumseinbruch reagiert? Ist hierin ein wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel zu sehen?

„Sebastian Dullien: Natürlich lässt sich ein gewisser Wechsel im Denken der politischen Klasse in Deutschland feststellen. Hans Eichel hat in seiner damaligen Funktion als Finanzminister in einer Rede Anfang des Jahrzehnts in Berlin noch darauf bestanden, dass in heutigen Zeiten eine nationale Konjunktursteuerung wegen der großen internationalen Verflechtung der deutschen Wirtschaft gar nicht mehr möglich sei. Heute wird selbstverständlich darüber diskutiert, wie man am besten die Konjunktur ankurbelt – auch auf nationaler Ebene.  

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Chancen eines neuen "New Deal": Perspektiven eines wirtschaftlichen und sozial-strukturellen Umbaus

von Michael Vester

„Ich möchte, dass dieses Land weiter Exportweltmeister bleiben kann.“ – Dies verkündete die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, am 22. März 2009 in der Sendung bei „Anne Will“. Zwei Tage später folgte in der ‚Frankfurter Rundschau’ ein Kommentar von Robert von Heusinger, gleichzeitig ein Meisterstück pointierter Krisenerklärung... mehr

SPD 2009 - Bereit für den neuen Fortschritt?

von Reinhold Rünker

Das internationale kapitalistische System steht auf dem Prüfstand: ökonomisch, sozial, kulturell und letztlich hegemonial. Der Zusammenbruch des Casino-Kapitalismus und als dessen Resultat die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich zur tiefsten Rezession der letzten achtzig Jahre ausgeweitet. Und vergessen wir nicht: Die ökologische Uhr zeigt für viele ExpertInnen schon lange nach zwölf. Gleichzeitig erleben wir den ungebremsten Hunger von Millionen Menschen in den aufstrebenden Regionen dieser Welt nach dem ihnen zustehenden Anteil an der weltweiten Reichtumsproduktion. Schließlich: Die Menschen in den vielen Krisenregionen dieser Welt, den ökonomisch und sozial abgehängten Regionen, deren Ruf nach einem menschenwürdigen Leben im allgemeinen medialen und politischen Gewitter unserer Wohlstandsgesellschaften untergeht. mehr

Kurzum

von Felix Welti

„Dafür bin ich kein Experte.“ Immer mehr Ortsvereinsvorsitzende, Abgeordnete, Lehrende oder Schreibende haben keine Meinungmehr über Gesundheitsfonds, Rentenformel, Föderalismusreform, Umbau der Automobilindustrie oder Krieg und Frieden. Sie verweisen auf die Experten: Fachsprecher, Räte, Institutschefs. Auch das private Leben wird ihnen überlassen. Kann man ohne „Fachlichkeit“ noch Kinder erziehen oder Schulden tilgen? Wie man aus Geld mehr Geld macht, wissen Anlageberater und Fondsmanager, ob man Menschen töten darf, weiß der Ethikrat. Zunächst scheint der Verweis auf Experten noch sympathische Bescheidenheit, Einsicht in die Notwendigkeit der Arbeitsteilung. Doch wenn die Teile eines scheinbar fachlich geführten Staates oder Lebens kein Ganzes mehr ergeben, wenn die Teilsysteme der Gesellschaft immer weniger durch Politik und Recht integriert werden, kann mehr Spezialisierung zu weniger Rationalität führen. mehr

Globale Gegenhegemonie oder: Warum wir jetzt tun müssen, was wir wissen

von Claudia Drautz

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde auch – zumindest von deutscher Seite – ein Kampf gegen die Vorherrschaft liberaler Ideen gekämpft. 100 Jahre später ist die ökonomische Umsetzung dieser Idee als radikal marktförmig organisierte Wirtschaftsform immer noch lebendig.   mehr

Sarkozy und kein Ende? Die französische Sozialdemokratie im Jahr II nach der Präsidentschaftswahl

von Raimund Feld

Vom 14. bis 16. November 2008 hat in Reims ein Parteitag der französischen PS (Parti socialiste) stattgefunden. Außer einer wichtigen Personalfrage – wer würde den Parteivorsitz übernehmen? – stand vor allem die Frage im Raum, wie sich die Partei bündnispolitisch positionieren würde. mehr

Stichwort zur Wirtschaftspolitik: Krise der Automobilindustrie

von Arne Heise

Die internationale Finanzkrise zeigt mittlerweile längst Auswirkungen auf die Realwirtschaft, also auch auf Produktion und Beschäftigung: Im Jahr 2009 wird mit einem in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Rückgang des Volkseinkommens von bis zu 7 Prozent gerechnet, die Arbeitslosigkeit könnte wieder auf weit über 4 Millionen steigen. mehr

Kinder brauchen mehr! Für eine Kindergrundsicherung

von Barbara König

Die Armutsrisikoquote hat sich in Deutschland auf hohem Niveau verfestigt: Gut 18 Prozent aller Menschen in Deutschland sind von Armut bedroht. Gleichzeitig hat sich die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland weiter geöffnet: Während die Einkommen des reichen Bevölkerungsteils weiter gewachsen sind, sinken bzw. stagnieren sie im unteren und mittleren Bereich. Von einem besonders hohen Armutsrisiko sind Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Mehrkindfamilien und Familien mit Migrationshintergrund betroffen – und dies trifft insbesondere auch deren Kinder. Denn die Armutsrisikoquote von Kindern (26 Prozent) und Jugendlichen (28 Prozent) liegt deutlich über der Risikoquote der Gesamtbevölkerung (18 Prozent). Hinzu kommt, dass Kinder, die in materieller Armut aufwachsen, viele Einschränkungen hinnehmen müssen.  mehr

Crisis Shooter 3.0 – Wir krempeln die Ärmel hoch …

von Alexandra Kramm

Neulich hat in einer Lesung jemand gefragt, ob Konjunkturpaket III das neue Ego-
Shooter-Spiel ist. Ein aufregender Gedanke. Wenn jede/r als Angie oder Oskar einfach mit einem Monster von Waffe die Krisenerzeuger von der Platte putzen könnte. Das würde nicht nur der Linken Spaß machen.   mehr

Das deutsch-syrische Rückübernahmeabkommen: Kollaboration mit einem menschenrechtsverletzenden Regime

von Bernd Mesovic

Das am 14. Juli 2008 geschlossene „Abkommen über die Rückführung von illegal aufhältigen Personen“, das inzwischen in Kraft getreten ist, schwebt als Damoklesschwert über den in Deutschland lebenden, oftmals langjährig geduldeten Flüchtlingen – nicht nur SyrerInnen, sondern auch PalästinenserInnen und Staatenlosen. Syrien wird als Vertragspartei behandelt, als handele es sich um einen Rechtsstaat. Dabei gehört Syrien seit Jahrzehnten zu den menschenrechtlichen Problemfällen. Seit 1963 befindet sich das Land im Ausnahmezustand. Das erlaubt es den Geheimdiensten, ohne jegliche Kontrolle gegen jeden der Opposition Verdächtigten vorzugehen. Willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen ohne Anklage, systematische Folter sind an der Tagesordnung. Niemand bestreitet, dass man auch mit solchen Regimen diplomatische Beziehungen pflegen muss. Syriens Rolle im Kräftefeld des Nahen Ostens ist keine unbedeutende.Doch der Damaszener Frühling ist seit langem vorbei. mehr

Pro und Contra Krisen-Soli

von Mechthild Rawert, Florian Pronold

Personen und Positionen

5 Fragen an ... Georg Brockmeyer

von Georg Brockmeyer

Georg Brockmeyer, genannt „Schorsch“, geboren 1975 in Freiburg. Er studierte in Hamburg, Wien und Berlin Geschichte und Neuere Deutsche Literaturwissenschaften und begann bereits mit 15 Jahren, sich politisch zu engagieren. 1993/94 war er Bundesschulsprecher und in den beiden folgenden Jahren Bundesgeschäftsführer der Bundesschülervertretung. Von 1993 bis 1996 gehörte er der BundesschülerInnenkommission der Jusos an und hat deren Diskussionen maßgeblich im Sinne der Juso-Linken geprägt. Im Rahmen seines Studiums hat Georg Deutschland Richtung Wien verlassen und dort seine „Schüli-Karriere“ fortgesetzt: 1998-1999 als Pressesprecher des VSStÖ und dann 1999-2001 als Bundessekretär des VSStÖ. Zurück in Berlin war er 2003 Pressesprecher der Jusos und später auch Mitarbeiter im MdB-Büro von Niels Annen. Es zog ihn aber zurück nach Wien, wo er heute als Kommunikationschef des Wiener Wirtschaftsförderungsfonds arbeitet. Ehrenamtlich ist er Mitglied eines Sektionsvorstandes, also seines Ortsvereinsvorstandes. Georg lebt in Wien mit seiner Partnerin und fühlt sich immer noch sehr wohl dort. mehr