Ausgabe: spw 240

Digitaler Sozialismus

Einleitung zum Heftschwerpunkt

Evgeny Morozov hat in seiner Keynote auf dem FES-Kongress zum Digitalen Kapitalismus im November 2019, der von der Zeitschrift SPW mitgestaltet wurde, die Konturen eines digitalen Sozialismus entworfen und damit die Diskussion um ein sozialdemokratisches Projekt des 21. Jahrhunderts eröffnet. Ausgangspunkt seiner Positionsbestimmung ist, dass einer der wichtigsten Antriebskräfte der Sozialdemokratie in der Vergangenheit in der fortlaufenden Entwicklung und Umsetzung institutioneller Innovationen lag: Sozialstaat, Mitbestimmung, Daseinsvorsorge etc. Diese Institutionen wurden als öffentliche Güter betrachtet, die einer spezifischen Infrastruktur und einer angemessenen öffentlichen Finanzierung bedurften, um allen unabhängig von der sozialen Position bzw. Klassenzugehörigkeit den Zugang zu diesen Ressourcen zu ermöglichen.

Artikel

Inhalt Heft 240

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Einleitung zum Heftschwerpunkt: Digitaler Sozialismus

von Arno Brandt, Uwe Kremer, Stefan Stache

Kurzum spw 240

von Stefan Stache

Das Lieferkettengesetz – Schauplatz wirtschaftlicher Machtinteressen

von Lia Polotzek

Unser aktuelles Wirtschaftssystem ist nicht nachhaltig – weder für die Menschen noch für die Natur. Die schlimmsten Auswirkungen lassen sich täglich in globalen Lieferketten beobachten: Kinder, die mit Macheten Kakao ernten, brandgerodete Regenwälder für den Anbau von Soja oder Palmöl sowie menschenverachtende Arbeitsbedingungen in Textilfabriken. Das ist kein Geheimnis und keine neue Erkenntnis. Auch die Tatsache, dass transnationale Unternehmen entlang von Lieferketten die Preise drücken und so Gewinne abziehen können, die eigentlich den Arbeiter*innen an verschiedenen Stufen der Lieferkette zustehen oder für den Schutz der Umwelt ausgegeben werden müssten, ist vielen Menschen bekannt. Trotzdem ist es noch immer möglich, in Deutschland Produkte zu kaufen, die zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung beitragen. mehr

Gerade im Wandel – mehr Sicherheit und Möglichkeiten für alle Beschäftigten

von Kai Burmeister

Die Revitalisierung der SPD muss über eine Politik für Gute Arbeit erfolgen. Der lange bekannte Missstand in der Fleischwirtschaft ist der Kampf angesagt, aber dies ist nur die Spitze des Eisbergs. Nach IAQ-Angaben steckt immer noch jede*r fünfte Arbeitnehmer*in im Niedriglohnsektor fest. Auch verlangen die Veränderungen durch Corona und die Transformation politische Antworten. Dazu im folgenden drei Anmerkungen und Vorschläge für die Aufgabenstellung der Sozialdemokratie. mehr

Demokratischer Sozialismus und Digitalisierung

von Dieter Klein

Evgeny Morozov hat eine erstrebenswerte künftige solidarische Gesellschaft als Digitalen Sozialismus gekennzeichnet (Morozov 2020). Dieser Begriff verweist auf eine gravierende Bedeutung informationstechnologischer Umwälzungen für das Gesicht einer kommenden emanzipativen Gesellschaft. Diese Bedeutung wird in linken Diskursen allerdings sehr unterschiedlich verstanden. mehr

Sozialismus – nachhaltig, ökologisch und sozial, aber nur in Maßen digital

von Klaus Dörre

Bei der kritischen Analyse der Digitalisierung hat Evgeny Morozov Pionierarbeit geleistet. Sein Plädoyer für einen Digitalen Sozialismus geht noch einen Schritt weiter. Digitale Technologie ist für ihn der Resonanzboden, der eine Erneuerung sozialistisch-sozialdemokratischer Politik erlaubt. Morozov will es nicht bei diffusen Kategorien wie Postkapitalismus oder radikaler Humanismus belassen. Er verwendet das S-Wort sehr bewusst. Mit der Beifügung ‚digital´ verleiht er ihm etwas Modernes, Attraktives. So erklärt die jüngste Ausgabe des „Jacobin“ Morozovs digitalen Sozialismus prompt zur Schlüsselkategorie für eine Utopie, die eine sozialistische Ökonomie im Jahre 2054 beschreiben soll. mehr

Keine sozialdemokratische Erzählung ohne öffentliche Güter – ein Plädoyer

von Klaus-Jürgen Scherer

Evgeny Morozov, der schon vor Jahren Thesen zur Gestaltung der digitalen Welt im sozialdemokratischen Kontext zur Diskussion stellte, warnte 2019 auf dem zweiten Kongress „Digitaler Kapitalismus“ in Berlin: „Solange Sozialdemokraten und Sozialisten nicht klar artikulieren, was sie im hochgradig globalisierten, finanzialisierten und digitalisierten Kapitalismus der Gegenwart wollen, können wir keinen Fortschritt erwarten.“ Nicht nur Morozov sehnt sich nach einem übergreifenden Narrativ. Jahrelang wurde beklagt, die SPD kenne keine große Erzählung mehr, sie mache nicht mehr deutlich, wofür sie heute eigentlich noch stehe – daran konnte auch das breit angelegte, allerdings öffentlich kaum wahrgenommene, programmatische Projekt der Friedrich-Ebert-Stiftung „Für ein besseres Morgen“ wenig ändern. mehr

Wende bis Wiedervereinigung: das kurze Leben einer schönen Vision

von Anke Domscheit-Berg

Als ich 1988 und 1989 als Studentin in der DDR-Opposition engagiert war, kämpfte ich für meine Vision eines „dritten Weges“ – für einen Sozialismus, der demokratisch ist, seine Bürger:innen nicht einsperrt und in dem man Freiheitsrechte genießt. Als dann nach dem Mauerfall gefühlt über Nacht die Wiedervereinigung zum Anschluss der neuen Bundesländer an die BRD und ihr kapitalistisches System führte, war für mich dieser Traum ausgeträumt. Ich hatte eine Revolution erlebt, begeistert für sie gekämpft, und dann war da nur noch Leere, nachdem für ein paar kostbare Monate alles möglich zu sein schien, auch eine neue Gesellschaftsordnung, die es noch nie gegeben hatte, die weder die Fehler des Kapitalismus noch die des real existierenden Sozialismus begehen würde: Das Beste zweier Welten – gerecht, sozial, nachhaltig und frei. mehr

Digitaler Sozialismus?

von Timo Daum

Evgeny Morozov, einer der renommiertesten Analysten und Kritiker des Digitalen Kapitalismus, hatte im November 2019 auf dem gleichnamigen Kongress der FES den Versuch einer Bestandsaufnahme unternommen. Obwohl er selbst schon früh wesentlich zu unserem Verstehen des Digitalen Kapitalismus beigetragen hat, räumte er ein: „Uns fehlt nicht nur das übergreifende Verständnis der Dynamiken der Digitalwirtschaft, sondern auch des Kapitalismus selbst.“ mehr

Zukunft neu denken – Veränderungen auf den Weg bringen

von Constanze Kurz

Die Frage, wie das Kunststück gelingen kann, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts eine sozialistisch inspirierte Orientierung und Veränderungsrichtung zu geben, ist nicht leicht zu beantworten. Indes ist es keine Frage, dass die Debatte darum, was demokratischer Sozialismus sein und wie er greifbar gemacht werden kann, dringend erforderlich ist.
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Interview: Es ist sehr schwierig geworden, emanzipatorische Reformen gegen das seltsam verdrehte Freiheitsversprechen umzusetzen

von Sabine Pfeiffer

spw: Du arbeitest seit längerer Zeit an einem Forschungsprojekt zum „lebendigen Arbeitsvermögen“. Kannst du einmal kurz umreißen, was es mit diesem Projekt auf sich hat? 

Sabine Pfeiffer: Zunächst kurz zur Motivation zu diesem Projekt. Als an qualitativen Methoden ausgerichtete Forscherin gehe ich normalerweise in die Unternehmen und rede mit den Führungskräften und den Beschäftigten. Die Digitalisierungsdiskussion wurde aber ganz zentral mit quantitativen Prognosen darüber geführt, welche und wie viele Jobs wegfallen. Das waren Prognosen von Forschern, die mit quantitativen Daten arbeiten, also vor allem Arbeitsmarktdaten. Diese Forscher ordnen alle mehr oder weniger die Tätigkeiten in zwei große Schubläden, einerseits in solche, die stark durch Routinen geprägt sind, und andererseits in solche, bei denen Routinen keine große Rolle spielen.  mehr

Intro: Friedrich Engels zum 200. Geburtstag

von Michael R. Krätke, Thilo Scholle

Am 28. November dieses Jahres feiern wir den 200. Geburtstag von Friedrich Engels. Welchen Einfluss Engels auf die Gedankenwelt der deutschen und europäischen Sozialdemokratie hatte, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Er galt zu Lebzeiten wie nach seinem Tod – er starb am 5. August 1895 im Londoner Exil – als der große Lehrer und Berater der Sozialdemokraten aller Länder. mehr

Friedrich Engels‘ politisches „Testament“

von Michael R. Krätke

Wer in den 1970er Jahren und später in der alten Bundesrepublik auf seine Verfassungstreue geprüft wurde und im Verdacht stand, ein „Verfassungsfeind“ zu sein, der wird sich an den „späten Engels“ wohl erinnern. Sich eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu wünschen, ist verfassungskonform; der gewaltsame Umsturz der politischen Ordnung ist es nicht. Man konnte sich als junger Linker auf den „späten Engels“ berufen, um noch als Verfassungsfreund, wenn auch mit radikalen Ansichten, durchzugehen. mehr

Friedrich, der Große

von Michael R. Krätke

Alle reden von Marx, wenige von Engels. Wuppertal immerhin feiert seinen berühmtesten Sohn. Vor 200 Jahren, im November 1820 wurde Friedrich Engels in Barmen geboren, als ältester Sohn des erfolgreichen Textilfabrikanten Friedrich Engels Senior. Wuppertal gab es damals noch nicht, aber in Barmen, in Elberfeld und darum herum war die Industrialisierung schon im Gange. Und Friedrich Engels war mittendrin, beobachtete und studierte die „industrielle Revolution“, den Aufstieg des neuen industriellen Kapitalismus mit wachen Augen und klarem Kopf. mehr

Vom Emanzipationsdilemma – Nachdenken mit und über Friedrich Engels

von Uta von Winterfeld

Vor drei Jahren habe ich meinen Kollegen Wolfgang Sachs gefragt, weshalb er von Marx und Engels wenig halten würde. Es ist nach der Sommerhitze gewesen. Die Luft flirrend, der Boden trocken und die Pflanzen müde. In Wuppertal ist Rainer Lucas als Kurator des Engelsjahres nominiert worden. Gemeinsam haben wir Wolfgang und Melania in ihrem toskanischen Sommerquartier besucht. mehr

Engels und die (Arbeits- und Industrie-) Soziologie – ein Essay

von Olaf Struck

Aus Anlass des zweihundertsten Geburtstages Friedrich Engels soll sein Einfluss auf die Soziologie, speziell die Arbeits- und Industriesoziologie beleuchtet werden. Sofort denken viele an die Schrift „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ (Engels 1845 in MEW 2, 224 ff.). Auch nach meiner Auffassung ist diese Pionierschrift der empirischen Sozialforschung beispielgebend. In der Studie stellt Engels eigene Beobachtungen und umfängliche statistische Daten aus verschiedenen Quellen zusammen. mehr

Sammelrezension: Aktuelle Bücher rund um Friedrich Engels

von Thilo Scholle

Nach dem Marx-Gedenkjahr 2018 hat auch das Engels-Gedenkjahr 2020 eine Reihe interessanter Publikationen hervorgebracht. Bemerkenswert ist, dass – soweit ersichtlich – keine neue Gesamtbiographie zu Leben und Werk vorgelegt wurde. mehr

Was heißt sozialistische Politik und Wirtschaft?

von Claudia Walther

Was verbindet ihr mit sozialistischer Politik und Wirtschaft?
Auf diese Frage antworten die neuen Herausgeber*innen der spw an dieser Stelle in der vorliegenden und den folgenden Ausgaben.

Mit sozialistischer Politik und Wirtschaft verbinde ich ... Europäische Solidarität!
Die Zukunft ist international oder gar nicht. Das gilt nicht nur für die Zukunft unserer Gesellschaft, sondern auch für die Zukunft unserer Partei.

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Stichwort Wirtschaftspolitik: Massive Neuverschuldung in der Corona-Krise – wer zahlt die Zeche?

von Arne Heise

Die aktuelle Zahl: 45 Prozent der Beschäftigten im Gastgewerbe waren 2020 in Kurzarbeit

von Michael Reschke

Counterstrategien gegen Hassrede im Netz

von Ellen Wesemüller

„Hassrede betrifft alle“, lautet eine beliebte Catchphrase der No-Hate-Speech-Aktivist*innen. So richtig dieser Aufruf für Empathie und Engagement ist, so falsch ist er in der Sache. Online-Hatespeech betrifft nicht alle. Sie richtet sich gegen diejenigen, die bereits gesellschaftlich benachteiligt sind, sowie gegen diejenigen, die sich solidarisch erklären.
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Rezension: Geschichte der Jusos – Verbandsgeschichte als Teil der Partei- und Politikgeschichte

von Stefan Hillger

Rezension: Geistige Erneuerung links der Mitte

von Thilo Scholle

DL 21 Aktuell: Ein Reisebericht: Athen – Lesbos, September 2020

von Hilde Mattheis

Proms-Sommertagung „Linkes Werk & rechter Beitrag“

von Marius Sibbel, Katja Ludwig

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