Ausgabe: spw 239

Corona-Kapitalismus?

Einleitung zum Heftschwerpunkt

Zum ersten Mal in der Geschichte der EU werden Schulden in Teilen gemeinschaftlich aufgenommen um Investitionen zu finanzieren. Der europäische Fiskalpakt und die deutsche Schuldenbremse sind in der Krise nicht mehr maßgeblich. Durch die keynesianischen Krisenreaktionen haben sich die Legitimationsprobleme neoliberaler Diskurse vertieft. Sowohl das weltweite Ausmaß der ökonomischen und sozialen Folgen der Pandemie als auch die offenkundigen Lücken der gesellschaftlichen Infrastrukturen erhöhen den Druck auf die bisherige Logik von Austerität sowie den deutschen Export- und Wettbewerbspfad. Eine Rückkehr zur Sparpolitik dürfte umso schwieriger durchzusetzen sein, je tiefer die Alltagserfahrungen über die Möglichkeiten wohlfahrtsstaatlichen Handelns reichen. Dennoch könnten jene Teilöffnungen zu einer investiven Politik eine Episode bleiben. 

Artikel

Inhalt Heft 239

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Einleitung zum Schwerpunkt: Corona-Kapitalismus?

von Uwe Kremer, Thilo Scholle, Stefan Stache

Kurzum spw 239

von Uwe Kremer

Interview: „Unter dem Strich gibt es also keinen Grund einzuschlafen“

von Daraka Larimore-Hall

spw: Noch vor dem Super Tuesday schien es, als könne Bernie Sanders die Vorwahlen der Demokraten gewinnen. Welche Gründe führten zum Sieg Joe Bidens und für welche Wählergruppen waren diese ausschlaggebend? 

Daraka Larimore-Hall: Einer der wichtigsten demographischen Faktoren für den Sieg Bidens waren die schwarzen Wähler*innen, vor allem in den Südstaaten. Der „Super Tuesday“ sollte Wähler*innenstimmen in konservativeren Staaten bündeln, um es „aufständischen“ Kandidaten (zum Beispiel Ted Kennedy und Jesse Jackson) zu erschweren, Schwung aufzunehmen.  mehr

Interview: “The bottom line is there is no reason to go to sleep”

von Daraka Larimore-Hall

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Auf ewigem Abwehrmodus - Struktureller Rassismus bei der Polizei

von Schohreh Golian

Nach dem viral verbreiteten Video der Tötung des schwarzen Amerikaners George Floyd durch Polizeibeamte gingen Menschen in den gesamten U.S.A. und eine Woche später auf der ganzen Welt unter dem Banner „Black Lives Matter“ gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Straße. Auch in Deutschland nahmen zehntausende Menschen dies zum Anlass, die Verhältnisse im eigenen Land anzuprangern. Die neu entflammte Debatte um Rassismus und rassistische Gewalt bei der Polizei war längst überfällig und es schien vielversprechend, dass erstmals in Deutschland auch ein ‚struktureller Rassismus’ diskutiert wurde und die Regierung kurzerhand eine bundesweite Studie zu Racial Profiling bei der Polizei ankündigte. mehr

Solidarische Lernprozesse – vom Crossover, RRG und dem notwendigen Blick auf die sozialen Bewegungen

von Franziska Drohsel

Als wir vor gut zehn Jahren das Institut Solidarische Moderne gründeten, schien die Situation festgefahren. Im Bundestag gab es eine rot-rot-grüne Mehrheit in der Sitzverteilung, aber wenig Aussicht auf ihre Verwirklichung in einer Regierungskoalition. Aber es entstanden rot-rot-grüne Gesprächskreise und Überlegungen, wie die gesellschaftlichen Mehrheiten auch zukünftig in eine parlamentarische Mehrheit verwandelt werden könnten. Denn klar war schon damals, dass es nicht um das Addieren von Zahlen gehen konnte, sondern dass ein belastbares politisches, progressives Projekt nur gemeinsam aus einem Crossover aus kritischer Wissenschaft, sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und den drei Parteien, Linkspartei, Grüne und der SPD, entwickelt werden müsste. mehr

Corona zwingt zum Neustart – ist die Chance zum Neustart!

von Hilde Mattheis, Tobias Pforte-von Randow

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind extrem. Wenn wir nicht einen nachhaltigen Weg aus dieser Krise finden, droht international und national eine massive Verschärfung der Ungleichheit und der Konflikte. Mit den Worten des ehemaligen UN-Generalssekretärs Ban Ki-moon gesprochen: „Wir sind die erste Generation, die die Armut beenden kann, und die letzte, die den Klimawandel begrenzen kann.“ Corona zwingt zum Neustart. Corona ist die Chance zum Neustart. mehr

Zur politischen Ökonomie der Corona-Krise

von Arno Brandt, Torsten Windels

Nach allem was wir wissen, hatte die Corona-Epidemie im Jahr 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan ihren Ursprung. Diese Pandemie sowie die sehr unterschiedlichen gesundheitlichen Folgen stehen nicht jenseits der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern sind selbst Ausdruck menschlichen Handels und damit menschengemachter Entwicklungen. Die Corona-Krise ist historisch bedingt, weil sie auf Voraussetzungen beruht, die insbesondere in den letzten Jahrzehnten geschaffen wurden. Vor allem die durch den Raubbau an der Natur rückläufige Diversität hat die Wahrscheinlichkeit lebensbedrohlicher Rekombinationen erhöht. Da die Menschen Teil der Natur sind, hängen die Gesundheit unserer Ökosysteme und die Gesundheit der Menschen voneinander ab: Mit zunehmender Zerstörung der Biodiversität steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Viren überspringen. mehr

It’s the Political Economy, stupid! Wie sich die Welt nach Corona verändert, entscheiden die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse

von Marc Saxer

Markiert die Coronakrise einen Epochenbruch? Die Bundeskanzlerin spricht von der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Ökonomen ziehen Parallelen zur Großen Depression. Optimisten feiern das Heraufdämmern eines neuen Zeitalters. Andere mahnen, es mit Euphorie oder Panikmache nicht zu übertreiben. Auch in der Finanzkrise 2008 wurde vorschnell das Ende des Neoliberalismus ausgerufen, doch das letzte Jahrzehnt brachte die Radikalisierung der bestehenden Ordnung. mehr

Never waste a good crisis. Mit dem Corona-Krisenmanagement versucht die EU den Befreiungsschlag auch in anderen Politikfeldern

von Björn Hacker

Seit den Anfängen der europäischen Integration versteht sich der Staatenverbund primär als wirtschaftliches Projekt zur Ausweitung und Vertiefung des Marktes. Binnenmarkt, Freizügigkeit und Währungsunion sind die großen Integrationsprojekte, deren ökonomische Vorteile auf der Hand liegen. Die Regulierung des Marktes, die Beschränkung des Wettbewerbsprinzips und die Entwicklung gemeinsamer Politiken sind dagegen Ausnahmeerscheinungen geblieben. Macht nun die Corona-Krise die EU zu einem politischen Projekt mit einer alternativen Reformagenda? mehr

Nur systemrelevant in der Pandemie? Vorläufige Ein- und Aussichten für den Gesundheits- und Pflegesektor

von Michaela Evans, Denise Becka, Christopher Schmidt

In der COVID-19-Pandemie ist der Begriff „Systemrelevanz“ erneut in den Mittelpunkt der politischen, öffentlichen und medialen Aufmerksamkeit gerückt. „Systemrelevanz“ adressiert die sozioökonomische Schlüsselrolle eines Wirtschaftszweigs, Unternehmens oder Berufs in der Gesellschaft. Auch diverse Berufe des Gesundheits- und Pflegesektors wurden im Zuge der Pandemie als systemrelevant eingestuft. Einerseits ist dies erfreulich, wird damit doch angezeigt, wie notwendig ressourcenstarke und leistungsfähige Dienste in diesem Feld zur Bewältigung gesundheitsbezogener Krisen und Risiken sind. Andererseits ist es zugleich irritierend und stimmt nachdenklich, dass es diese Krise brauchte, um den Wert des Gesundheits- und Pflegesektors über die Semantik der „Systemrelevanz“ wieder verstärkt in das Bewusstsein zu rücken. Ist damit nun endlich klargestellt, dass Gesundheits- und Pflegearbeit für unsere Gesellschaft und Wirtschaft unverzichtbar ist? mehr

Europäische Gesundheitssysteme vor und während der Coronapandemie

von Cornelia Heintze

In Europa bieten die meisten Gesundheitssysteme umfassenden Schutz. Die in Westeuropa universalistischen Systeme unterteilen sich in zwei Grundtypen: Auf der einen Seite stehen steuerfinanzierte staatliche Systeme, bei denen die Finanzierung und die Leistungserbringung überwiegend öffentlich erfolgt; auf der anderen Seite beitragsfinanzierte Systeme, bei denen die Finanzierung auf Pflichtversicherungssystemen basiert (öffentliche und/oder private Kassen) und die Leistungserbringung über gemischte Trägerschaften erfolgt. Entstanden ist diese Zweiteilung nach der Zäsur, die der Zweite Weltkrieg mit sich brachte.  mehr

Erste Lehren aus der Corona-Krise

von Frank Werneke

Die Corona-Pandemie hat unser gewohntes Leben und Arbeiten dramatisch verändert. In dieser Krise zeigt sich einmal mehr, wie wichtig Gewerkschaften sind. Ver.di setzte sich dafür ein, Einkommen zu sichern und Entlassungen zu verhindern. Um das Virus einzudämmen, brachten die Bundes- und die Landesregierung das öffentliche und wirtschaftliche Leben zum weitgehenden Stillstand. Dieser „Shutdown“ wird nun schrittweise aufgehoben. Doch das Virus ist weder verschwunden noch gibt es einen Impfstoff, weswegen Rückschläge nicht ausgeschlossen sind. mehr

Innovationspolitik nach Corona

von Marc Bovenschulte

Die Corona-Krise war und ist die Stunde der Exekutive und tatsächlich ist es auch mit Abstand weniger Monate noch bemerkenswert, wie entschlossen aber auch vermittelnd der Regierungsapparat mit gleichsam freier Hand in Zeiten der zahlreichen Herausforderungen für Gesellschaft und Wirtschaft agiert. Die Regierung hat in Anbetracht ihrer eigenen Handlungsfähigkeit gleichsam einen „China-Moment“ in der ad hoc-Phase der Pandemie (zu Anfang noch mehr Gesundheits- als Wirtschaftskrise) erlebt. Mit Blick auf die Frage nach dem „Danach“ wird jedoch klar, dass die Stabilisierungsrolle der Exekutive enden muss, wenn auch aus anderem Grund, als von Corona-Leugnern und Verschwörungstheoretikern propagiert: Die jetzt aus gutem Grund getroffenen (Rettungs-) Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld sind zum Großteil von der Zielsetzung geprägt, möglichst nahtlos an die vor-Corona-Zeit anknüpfen zu können, als ob Gesellschaft und Wirtschaft aus einem gemeinsamen Winterschlaf erwachen müssten. mehr

Digitalisierungsschub durch die Corona-Krise? Die Frage ist nicht wie digital wir sind, sondern wie wir digital sind

von Benedict Lang

Viel wurde bereits gesagt und geschrieben über die Corona-Krise. Oft wurde dabei auch der Zusammenhang zur Digitalisierung hergestellt. Zweifelsfrei konnten wir in unserem persönlichen Umfeld erleben, wie viele Teile des Alltagslebens plötzlich digital abgebildet wurden. Das belegt auch die Steigerung des Daten-Aufkommens, der beispielsweise am 10. März allein für Videokonferenzen am Internetknoten DE-CIX in Frankfurt um mehr als 120 Prozent angewachsen war. mehr

Was heißt sozialistische Politik und Wirtschaft?

von Andreas Fisahn

Was verbindet ihr mit sozialistischer Politik und Wirtschaft?
Auf diese Frage antworten die neuen Herausgeber*innen der spw an dieser Stelle in der
vorliegenden und den folgenden Ausgaben.

Mit „sozialistischer Politik und Wirtschaft“ verbinde ich: Eine solidarische, demokratische und ökologische Gesellschaft vorzudenken und für sie zu kämpfen. Sozialistische Politik tritt das Erbe der Aufklärung an, die von Kant definiert wurde als Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Sie ist selbstverschuldet, sofern es an Bereitschaft oder Mut mangelt, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen. Selbstbestimmung ist der Fixstern der Aufklärung und sozialistischer Politik.

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Stichwort Wirtschaftspolitik: Wird aus der Corona-Krise eine neue Finanzkrise?

von Arne Heise

Die aktuelle Zahl: 35 Prozent des Vermögens konzentrieren sich in Deutschland beim reichsten Prozent der Bevölkerung

von Michael Reschke

Roastbeef und Apple Pie - Herrschaft im Spätkapitalismus am Beispiel von Tönnies

von Werner Kindsmüller

Als am 17. Juni 2020 die Schlachtfabriken des Schweinemoguls Clemens Tönnies wegen massenhafter Corona-Infektionen von den Behörden des Kreises Gütersloh geschlossen wurden, informierte die BILD den geneigten Leser, dass nunmehr 20 Prozent der Fleischprodukte auf dem deutschen Markt fehlen würden. Viele Leser außerhalb Ostwestfalens mag dieser Hinweis mehr besorgt haben als die Berichte über die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen der meisten der 13.000 Beschäftigten des Unternehmens. mehr

Sammelrezension: Bücher zur Großen Transformation

von Thilo Scholle

DL21 Aktuell

von Hilde Mattheis

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