Ausgabe: spw 237

Corona-Krise

Einleitung zum Heftschwerpunkt

Die Corona-Pandemie führt deutlicher als zu Zeiten der globalen Finanzmarktkrise vor Augen, welche zentrale Bedeutung wohlfahrtsstaatliche Ressourcen und Regulierung besitzen. In der neuen globalen Krise, in der nicht alle gleich sind, sondern die entlang sozialer und ökonomischer Ungleichheiten und Kapitalismuspfade erfahren und bewältigt wird, scheinen in der Linken wie Ende der 2000er Jahre sowohl positive als auch skeptische Einschätzungen über die Krisendynamik auf. Angeregt werden die optimistischen keynesianischen Krisendeutungen durch das Ausmaß der Krise, vor allem die momentane Rolle wohlfahrtsstaatlicher Interventionen. Letztere kommen in den großen und z.B. für die USA in ihrer Höhe einmaligen Hilfsprogrammen, der Aussetzung des EU-Fiskalpakts und der Schuldenbremse sowie dem Einflussverlust von Diskursen der Entstaatlichung zum Ausdruck.

Artikel

Inhalt Heft 237

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Einleitung zum Schwerpunkt: Corona-Krise

von Arno Brandt, Uwe Kremer, Thilo Scholle, Stefan Stache

Kurzum spw 237

von Stefan Stache

„Die meisten Menschen werden nach der Corona-Krise erstmal ärmer sein“, so Winfried Kretschmann auf die Frage, wer die Kosten der Krise bezahle. Denn die Hilfsgelder müssten wieder eingespart werden und fielen „nicht vom Himmel“. Die Selbstverständlichkeit, mit der bereits jetzt Opfer zugunsten fiskalischer Ordnungspolitik erwartet werden, relativiert Hoffnungen, durch die Zwänge der Krise seien die Entstaatlichung und der Neoliberalismus erledigt. mehr

Die wirtschaftliche Entwicklung in Zeiten von Corona

von Arne Heise

„Unser Land steht vor einer ernsten Situation“ – mit diesen Worten leitete Finanzminister Olaf Scholz seine Überlegungen zu den Vorkehrungen ein, die die Bundesregierung mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise getroffen hat. Dies dürfte milde untertrieben sein. So, wie die medizinische Eindämmung einer Pandemie, für die noch keine Heilungspläne vorliegen, unbekanntes Territorium bedeutet, ist auch die wirtschafts- und finanzpolitische Bekämpfung einer gleichzeitigen Angebots- und Nachfragekrise in Zeiten von Nullzinsen und einem fragilen Finanzsystem absolutes Neuland: Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre waren eindeutig angebotsseitig zu verorten und trafen auf ein stabiles Finanzsystem sowie auf handlungsfähige und -willige wirtschaftspolitische Akteure. mehr

Politische Lehren aus der Corona-Pandemie

von Dierk Hirschel

Ein Virus verändert die Republik. Zwischen Kiel und München stand das öffentliche Leben wochenlang still. Schulen, Universitäten, Kitas, Museen und Theater waren geschlossen. Gleiches galt für Restaurants, Kneipen, Hotels und Einzelhandelsgeschäfte. Reisen ins Ausland waren nicht mehr möglich und die Bewegungsfreiheit im Inland wurde stark eingeschränkt. All diese Maßnahmen zielten darauf ab, die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Coronavirus zu verlangsamen. Dadurch sollte verhindert werden, dass unser Gesundheitssystem überfordert wird. Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen sollten geschützt werden. Mit Erfolg! Die Zahl der Infizierten wächst nur noch schwach.
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Historisch bewährt und erfolgreich – Lastenausgleich und Vermögensabgabe

von Carsten Sieling

Das „Gesetz über einen allgemeinen Lastenausgleich“ bezeichnete Erich Ollenhauer zu Beginn der dreitägigen Schlussberatung des Bundestages im Mai 1952 als „die Bewährungsprobe der neuen deutschen Demokratie“. Im Kern ging es um eine Entschädigung, die besonders betroffenen Bevölkerungsteilen für Kriegsschäden gezahlt wurde. Die Finanzierung erfolgte durch Erhebung einer Ausgleichsabgabe von denjenigen, denen hinreichendes Vermögen, insbesondere in Form von Immobilien, verblieben war. In Folge dieser Umverteilung mittels Vermögensabgabe kam es nicht etwa zu einem Einbruch der westdeutschen Wirtschaft, sondern zu Jahren mit enormen Wachstumsraten. mehr

Ausnahmezustand. Zur Politischen Ökonomie einer Seuche

von Klaus Dörre

Die Welt ist im Ausnahmezustand. Ursache ist Covid-19 – eine Krankheit, für die es noch keine Therapie gibt. Das Virus Sars-CoV-2 wirkt antisozial. Einziger Schutz ist Social Distancing. Hält man Abstand und bleibt zuhause, bedeutet das radikale Entgesellschaftung, ja Entgemeinschaftung menschlichen Lebens. Jede andere Person kann Viren übertragen. Deshalb muss digitalisierte Kommunikation einstweilen ersetzen, was sonst Direktkontakte zwischen Menschen leisten. Steckt in der Corona-Krise dennoch eine Chance? Manch öffentlich geführte Debatte legt das nahe. „Jetzt oder nie: Der Corona-Schock birgt die Chance auf eine bessere Welt“, titelt beispielsweise der Spiegel. mehr

Das Soziale in der Krise

von Joachim Rock

Die Covid-19-Pandemie stellt den Sozialstaat in Deutschland vor neue und in ihrer Reichweite längst noch nicht absehbare Herausforderungen. Politik und Verwaltung müssen in kürzester Zeit und bei komplexen Problemlagen sofortige Unterstützung bieten. Dabei wird Herausragendes geleistet. Und dennoch: die Politik der Krise droht, bereits bestehende Disparitäten nicht nur fortzuschreiben, sondern sie noch zu vergrößern. mehr

Das deutsche Gesundheitswesen im Lichte der Corona-Krise

von Felix Welti

Gesundheitspolitik und -recht werden durch einschneidende Ereignisse wie Seuchen auf den Prüfstand gestellt und in der weiteren Entwicklung geprägt. Beispiele sind die Typhus- und Cholera-Epidemien des 19. Jahrhunderts und ihr Einfluss auf die Entwicklung von Prävention und Gesundheitswesen.
Rudolf Virchow erforschte um 1848 die Ursachen des Hungertyphus in Schlesien und im Spessart und begründete die Medizin als soziale Wissenschaft. An der Bewältigung der letzten großen Cholera-Epidemie in Hamburg 1892 war wesentlich die in den betroffenen Arbeitervierteln handlungsfähige SPD beteiligt, die bis dahin von jeder Beteiligung an den öffentlichen Angelegenheiten ausgeschlossen war.
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Europas Solidarität muss sich an seinen schwächsten Mitgliedern orientieren

von Hilde Mattheis

Als 2010 der damalige luxemburgische Premierminister und Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker eine „stärkere wirtschaftspolitische Koordination“ und „Eurobonds“ vorschlug, sollte es durch die gemeinsamen europäischen Anleihen wirtschaftlich schwächeren und gefährdeten Ländern ermöglicht werden, billiger an Geld zu kommen, um damit ihre Wirtschaft anzukurbeln. Doch schon damals kam aus Deutschland umgehend ein Veto.
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Menschenrechte und EU-Flüchtlingspolitik in Zeiten der Pandemie

von Dietmar Köster

Die Abschottungspolitik der EU gegenüber Menschen, die vor (Bürger-)Kriegen, politischer und ethnischer Verfolgung oder vor Not und Elend fliehen, ist schon lange unmenschlich: Flüchtlinge ertrinken im Mittelmeer, verdursten in der Wüste der Sahelzone, werden in Lagern in Libyen vergewaltigt, misshandelt, erpresst, versklavt und zur Handelsware herabgewürdigt. Und schaffen sie es, nach vielen traumatisierenden Erfahrungen Europa zu erreichen, werden sie in Lager gezwungen, die menschenunwürdig und katastrophal sind. Um den Schutz der Menschenrechte ist es schlecht bestellt.
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Grundrechte und epidemische Lage

von Katie Baldschun

Das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz, IfSG) ist neunzehn Jahre alt. Es löste das seit Anfang der 1960er Jahre geltende Bundes-Seuchengesetz ab. Beide Regelwerke enthielten bzw. enthalten eine Norm, die die zuständige Behörde zur Anordnung von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten ermächtigt. Die Datenbank juris listet überschaubare einundzwanzig Treffer zu Entscheidungen  auf, die eine der beiden Normen zitieren – bis März 2020. Seither sind 72 weitere hinzugekommen, ein weiteres Wachstum auch dieser Zahlen ist zu erwarten. Rechtliche Fragen zum Umgang mit der Corona-Krise sind also nahezu ohne zeitliche Verzögerung in der Rechtsprechung angekommen.
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Identität und Solidarität: Das linke Lager, das rechte Lager, die Arbeiterklasse und die Kosmopolit*innen

von Max Reinhardt, Stefan Stache

Der Artikel analysiert die Frage nach der Spaltung und Strukturierung von heutigen Gesellschaften auf der Grundlage aktueller Diskurse von Andreas Reckwitz, über Didier Eribon bis hin zu Cornelia Koppetsch, Wolfgang Merkel u.a.. Der Artikel bietet darauf auch eine erste Antwort einer Differenzierung in ein linkes und ein autoritäres Lager, die angesichts der andauernden Klassenpolarisierung zwischen solidarischer und einer um Selbstbestimmung kämpfenden Arbeitnehmer*innenschaft und autoritären Kapital- und Bürgerfraktionen naheliegender erscheint als der Rückgriff auf vermeintlich postmoderne Gegensätze wie der zwischen „Kosmopoliten“ und „Kommunitaristen“.
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Identität und Solidarität: Das richtige Buch zur richtigen Zeit oder einfach: „maximal dreist“?

von Eva Berendsen, Saba-Nur Cheema, Meron Mendel

Wegen der Corona-Pandemie sollte auch die in vielerlei Hinsicht dichte Lesetour von „Trigger Warnung“ zu einem vorläufigen Ende kommen. Mit dem Sammelband waren wir in mehr als vierzig Orten in Deutschland und Österreich zu Gast, in diversen Veranstaltungssälen, Kulturorten und selbstverwalteten Zentren – ein Jahr voller Diskussionen um das Thema Identitätspolitik, um Unisextoiletten und Dreadlock-Verbote für Weiße, „richtige“ Sprache und „falsche“ Karnevalskostüme. Ein Jahr, in dem wir in etwa so viel Applaus und Zuspruch erhielten wie uns Abneigung und Kopfschütteln begegneten. mehr

Identität und Solidarität: Rezension: Philosophie der Heimat – Heimat der Philosophie

von Marie Mannheims

Digitaler Kapitalismus: Rezension: Wer hat Angst vorm Deep Learning?

von Christian Kellermann

Gibt es einen grünen Marx?

von Johano Strasser

Wenn man heute die Frage stellt, ob ein tieferes ökologisches Verständnis von Wirtschaft, Politik und Leben sich auf der Basis marxistischen Denkens entwickeln ließe, stößt man zumeist auf Unverständnis. Das habe man doch an der Praxis der Sowjetunion und der Comecon-Staaten in ausreichender Klarheit sehen können und könne es heute noch in China studieren, dass der platte marxistische Produktivismus noch weit schlimmere Umweltzerstörungen anrichte als der westliche Kapitalismus, der immerhin demokratisch gezähmt und auf diese Weise auch zu ökologisch sinnvoller Innovation angetrieben werde. mehr

Europäische Industriepolitik: Kooperationsfähigkeit als entscheidende Ressource

von Wolfgang Lemb

Die Corona-Krise legt die Schwächen und Defizite Europas schonungslos offen. In Zeiten der Not steht der Kontinent nicht zusammen, im Gegenteil: Er strebt auseinander. Ebenso wenig teilen die Staats- und Regierungschefs das Vertrauen in europäische Governance. Viele Grenzen wurden abgeriegelt und damit zentrale Wertschöpfungsketten in Europa unterbrochen. Die Krise verstärkt aktuell die Fliehkräfte, die seit Jahren die Union und ihre gemeinsame Entscheidungsfindung schwächen: Ost gegen West, Nord gegen Süd: Einzelne Staatengruppen stehen sich zunehmend antagonistisch gegenüber.  mehr

Kinderarmut bedeutet gestohlenes Leben

von Michael Klundt

Im folgenden Beitrag werden Ausmaß und Erscheinungsformen von Kinderarmut in Deutschland hinsichtlich verschiedener Verharmlosungen analysiert. Es werden zudem verkürzte Darstellungen von Armuts-Folgen betrachtet. Außerdem wird die Verwechslung von Ursachen und Anlässen kritisch begutachtet, um wirksame Alternativen von den bisherigen Gegenstrategien zu unterscheiden. Dabei wird betont, dass Armutsanlässe, wie Scheidung, Alleinerziehenden-Status, Migrationshintergrund oder Arbeitslosigkeit oft mit den zugrundeliegenden Ursachen im vorhandenen Wirtschafts- und Sozialsystem verwechselt werden. mehr

Rezension: Zu Entwicklungen des Neoliberalismus

von Thilo Scholle

Rezension: Recht und Staat im Austromarxismus

von Robert von Olberg

DL21 Aktuell

von Hilde Mattheis

Nachruf: Heinz–Gerd Hofschen

von Karl Bronke, Beenhard Oldigs

Nachruf: Ende der 80er Jahre: Heinz-Gerd Hofschen und die Juso-Linke

von Uwe Kremer

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