Ausgabe: spw 249

Mechanismen globaler Ungleichheit

Einleitung zum Heftschwerpunkt

Lucas Chancel, Hauptautor des World Inequality Reports 2022, stellt fest: „Ungleichheit ist eine bestimmende Herausforderung unsere Zeit.“ Ungleichheit wird sowohl von einem Großteil der Bevölkerung als auch von Politikerinnen und Politikern mit größter Sorge betrachtet, davon zeugt letztlich auch eine beachtliche mediale Präsenz. Vor allem im Vorfeld von Wahlen wird häufig und vielfach auf den „sozialen Sprengstoff“ Ungleichheit hingewiesen, dieser mithin als große Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Bestand der Demokratie bezeichnet. Vor allem nach dem Kollaps der Finanzmärkte 2008 und der darauffolgenden Wirtschaftskrise nahmen öffentliche Debatten über die wachsende Ungleichheit an Fahrt auf, über deren gesellschaftliche Folgen, Dimensionen und Erscheinungsformen. Dennoch erfährt soziale Ungleichheit innerhalb von Ländern seit mehreren Jahren einen weitaus stärkeren Anstieg als zwischen einzelnen Ländern oder Weltregionen.

Artikel

Inhalt Heft 249

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Einleitung zum Heftschwerpunkt

von Sascha Howind, Stefan Stache

Kurzum 249

von Stefan Stache

Hinter dem allgegenwärtigen Diskurs der Zeitenwende stehen zwei Gefahren: Die erste besteht in einer politischen Dynamik, die zunehmend durch einseitige militärische Logiken und Aufrüstung geprägt ist. Zweitens kann die Verankerung des Sondervermögens für die Bundeswehr in der Verfassung das politische Feld dauerhaft für eine progressive Politik schließen. mehr

Abschreckung und Krieg sind gescheitert! Sozialdemokratische Entspannungs- und Friedenspolitik war richtig – und bleibt wichtig!

von René Röspel

In den ersten Tagen des Einmarsches russischer Truppen fühlte ich mich wie von Putin persönlich in die Fresse geschlagen. Die ganzen Jahrzehnte der Annäherung über Jugendaustausche, Versöhnung und Verständigung: alles vergebens? „Wandel durch Handel“ gescheitert? Haben diejenigen doch Recht behalten, die bei meinen Besuchen in den baltischen Staaten und in Belarus immer forderten, mehr NATO-Soldaten zu schicken – weil Putin ja nur die harte Sprache von Gewalt und Aggression verstehe? mehr

Die Eigendynamik der Gesellschaften in der Welt unter dem Einfluss von Kapitalismus und Kolonialismus

von Helmut Bley, Peter Schyga

Peter Schyga: Um dieses umfassende Thema zu behandeln müssen wir überlegen, in welcher Periode wir beginnen. 

Helmut Bley: Mir scheint es wichtig, die Geschichte vom Anfang der europäischen Expansion her zu erzählen. Wenn man von heute ausgeht, verstellt die globale Weltwirtschaft, die alle Gesellschaften durchdrungen hat, die Sicht auf die früheren Verhältnisse. Diese Durchdringung gilt für die Anfänge der Europäischen Expansion vor 500 Jahren überhaupt noch nicht. Der europäische Fernhandel zielte auf die Gewürze in Indien. Weil das Osmanische Reich die Routen durch den Nahen Osten versperrt hatte, benutzte man den Atlantik als Umweg und landete dabei auch an afrikanischen Küsten.

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Von der Geschichte lernen – Strukturen globaler Ungerechtigkeit beseitigen

von Svenja Schulze

Man stelle sich vor, der deutsche Sozialstaat würde heute nicht auch aus der Geschichte heraus verstanden. Alle Bekenntnisse, seine Errungenschaften zu schützen und angesichts neuer Anforderungen weiterzuentwickeln, verlören an Nachdruck. Erst die so genannte Soziale Frage im 19. Jahrhundert und die mit ihr verbundene massenhafte Not in der Bevölkerung - die von der SPD als Partei der Arbeiter*innen erstmals thematisiert wurde – macht wirklich begreifbar, warum wir in Deutschland heute auch in Zeiten manch marktdominanter Tendenz besonderen Wert auf gesellschaftliche Solidarität in Form sozialer Sicherung legen.Erst die Einordnung in den historischen Kontext lässt das Konzept des Sozialstaats in besonderer Weise glaubwürdig erscheinen, denn sie zeigt, dass die Gesellschaft gelernt hat aus den schlimmen Erfahrungen der Vergangenheit mit all ihrer Not, ihren Verletzungen, ihren Ungerechtigkeiten und ihrer Ausgrenzung, unter denen damals eben vor allem die breite Bevölkerungsschicht der Arbeiter*innen litt. mehr

Die Ungleichheit der Welt

von Michael R. Krätke

Fast dreißig Jahre ist es her. Da erschien ein dickes Buch über das „Elend der Welt“. Verfasst von einer Gruppe von jungen französischen Soziologen, angeführt von Pierre Bourdieu. Das Buch stand in einer Tradition von Armutsstudien, die schon im 19. Jahrhundert von philanthropischen Privatgelehrten unternommen wurden. Die Studie der Forschergruppe um Bourdieu hat einige Nachfolger gefunden. Nach ihrem Vorbild haben Forschergruppen in Deutschland, in Österreich und in einigen anderen Ländern ähnliche Studien über die Lebensbedingungen und die Lebenswelt der Armutsbevölkerung unternommen. Jedoch dachten die früheren wie die heutigen Sozialforscher noch im nationalen Rahmen: Untersucht wurden die Lebensbedingungen im eigenen Land. mehr

Bericht zur weltweiten Ungleichheit 2022

von World Inequality Lab

Wir leben in einer datenreichen Welt und dennoch fehlen uns grundlegende Informationen über Ungleichheit. Zahlen zum Wirtschaftswachstum werden jedes Jahr von Regierungen auf der ganzen Welt veröffentlicht, aber sie sagen uns nicht, wie das Wachstum in der Bevölkerung verteilt ist – wer gewinnt und wer verliert durch die Wirtschaftspolitik. Der Zugang zu solchen Daten ist für die Demokratie von entscheidender Bedeutung. Über Einkommen und Vermögen hinaus ist es ebenso entscheidend, weitere Dimensionen sozioökonomischer Ungleichheit zu messen und zu überwachen, einschließlich geschlechtsspezifischer und ökologischer Ungleichheiten. Öffentlich zugängliche, transparente und zuverlässige Informationen über Ungleichheit sind ein globales öffentliches Gut. mehr

Der Traum vom ewigen Fortschritt. Zur Kritik des herrschenden Fortschrittsparadigmas

von Helmut Martens

Die World Commission on Environment and Development der Vereinten Nationen hat 1987 den Brundtland-Bericht vorgelegt. Es ging um Impulse, Konzepte und den Aufbruch in eine nachhaltige Entwicklung in unserer einen Welt. Heute prägen multiple Krisenentwicklungen die sich zu immer größeren Problemwolken auftürmen, die gesellschaftspolitischen Debatten. Die Corona-Pandemie, näher betrachtet selbst Teil der menschengemachten ökologischen Krisenentwicklungen, hat im Jahr 2020 alles Andere überlagert. Aber die drohende Klimakatastrophe bleibt unabweisbar. Spätestens mit den Präsidentschaftswahlen 2020 in den USA ist zudem unübersehbar geworden, dass wir uns einer tiefgreifenden Krise unseres demokratischen Projekts der Moderne gegenübersehen (Martens 2021a u. b). mehr

Eskalation, Deeskalation und – vielleicht irgendwann – ein Ende des Krieges?

von Herbert Wulf

„Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. Mit dem Überfall auf die Ukraine hat der russische Präsident Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen…“ Mit diesen Aussagen im Deutschen Bundestag machte Bundeskanzler Olaf Scholz deutlich, dass das Konzept der Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands und der Europäischen Union der letzten drei Jahrzehnte am Ende ist. Die deutsche Russlandpolitik ist gescheitert und die Verteidigungspolitik in ihren Grundfesten erschüttert. Nach der ersten Zeitenwende, die Ost und West durch den Zusammenbruch der Sowjetunion erlebten, ist dies die zweite große Zäsur der letzten sieben Jahrzehnte, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Das Ende des Kalten Krieges läutete eine Ära der Annäherung und Vereinbarungen über die Unantastbarkeit der Grenzen in Europa ein, der heute stattfindende Angriffskrieg bedeutet das genaue Gegenteil.
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Friedenspolitik im Schatten des Krieges in der Ukraine einschließlich der geringen Möglichkeiten gewaltfreier Politik

von Egbert Jahn

Seit 2014 herrscht wieder Krieg in Europa, acht Jahre lang auf einem niedrigen und räumlich eng begrenzten Niveau in der Ostukraine, der bis 2021 etwa 14.000 Menschenleben kostete. Der in Minsk vereinbarte Waffenstillstand konnte ihn nicht beenden. Er änderte nichts an der unblutigen, völkerrechtswidrigen Annexion der bis dahin Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol und ihrer völkerrechtswidrigen Eingliederung in die Russländische Föderation. Er änderte auch nichts an der Konstitution der beiden international und auch von Russland zunächst nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk durch ostukrainische Separatisten mit Hilfe inoffizieller russländischer Soldaten und Waffenlieferungen. mehr

Sammelrezension: Neues zu Friedrich Engels und ein bisschen Marx

von Thilo Scholle

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