Ausgabe: spw 190
„Soziale Ungleichheit und Wirtschaftskrise”
Einleitung zum Heftschwerpunkt
Fast vier Jahre sind bereits vergangen, seit das Weltfinanzsystem im September 2008 mit der Pleite der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers seine schwerste Eruption erlitt. Es war der symbolische Anfangspunkt einer globalen Finanzkrise, die zur Wirtschaftskrise mutierte und sich in der Europäischen Union (EU) seit nunmehr zwei Jahren als Währungs- und politische Systemkrise fortgesetzt hat. Diese multiplen Krisen hängen miteinander zusammen und überlappen sich stellenweise.Die Hintergründe für die gegenwärtigen Krisenphänomene liegen tiefer als die Pleite einer großen Investmentbank in den USA. Seit nunmehr drei Jahrzehnten erneuert der neoliberale Kapitalismus stets sein Versprechen, durch das freie Spiel der Marktkräfte würde der Wohlstand aller gemehrt. Die europäische und globale Marktöffnung wurde begleitet vom Dreigestirn aus Liberalisierung, Deregulierung und Risikoindividualisierung und hat den Einfluss des Staates auf das Wirtschaftsgeschehen merklich zurückgedrängt. Doch aus der in Teilen berechtigten Kritik am bürokratischen Interventionsstaat in den 1970er Jahren wurde bald eine unhinterfragte Doktrin der Marktgläubigkeit, aus den Chancen internationaler Verständigung nach dem Ende des real existierenden Kommunismus seit 1989 wurde das übermütige Projekt der globalen Marktgesellschaft, gipfelnd in der These vom „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama).