Konstruktion
der Geschlechter
Einleitung zum Schwerpunkt
Von Anja Kruke
Anja Kruke, Historikerin, Mitglied der spw-Redaktion, promoviert zu. Z.
am Institut für soziale Bewegungen an der Ruhr-Universität Bochum,
sie lebt in Bochum
Frauenpolitik ist gerade wieder in, zumindest in den Feuilletons der
Republik. Und das nicht zuletzt deshalb, weil in diesem Jahr mal wieder
Wahlen anstehen, bei denen schließlich über 50 Prozent der
Wähler weiblich sind.
Dies allein wäre Grund genug, sich dem Thema Frauenpolitik wieder
in einem Schwerpunkt zu nähern. Doch soll es hier darum gehen, die
letzten Jahre in Sachen Frauenpolitik/-bewegung und ihrer theoretischen
Entwicklung zu bilanzieren sowie nach weitergehenden Theorieperspektiven
zu forschen.
Der momentane Hype um Frauen verdeckt einen seit ein paar Jahren zu
beobachtenden Backslash der Frauenemanzipation der "alten Schule",
an dem auch die rot-grüne Bundesregierung nichts geändert hat
- oder ändern konnte? Bis in alltagskulturelle Phänomene hinein
ist zu beobachten, wie sehr sich junge Frauen von der Frauenemanzipation
alter Schule distanzieren und ältere wiederum mit deren Selbstverständnis
als "girlies" o.ä. nicht viel anfangen können. Um
zu dieser Kenntnis zu gelangen, brauchte man sich nicht unbedingt das
"Stellvertreterinnengespräch" zwischen Verona Feldbusch
und Alice Schwarzer anzuschauen.
Wir scheinen am Anfang der feministischen Bewegung wieder angekommen zu
sein, wenn eine "natürliche" Weiblichkeit plötzlich
wieder Konjunktur hat. Doch der Schein trügt, die heute im Feuilleton
beschriebene Weiblichkeit bezieht sich nicht mehr auf die Seele, das "Innere",
das "Geworden sein" des Menschen, sondern auf harte biologische
Facts und reduziert somit gesellschaftliche Einflüsse auf ein Minimum.
Dieser Versuch einer körperlich/geistigen Festschreibung von Geschlecht
stellt sich zudem in eine lange aufklärerische Tradition. Was kann
man diesem Biologismus entgegenstellen?
Die sich als feministisch verstehenden Verbände hatten in den
letzten Jahren auf dem sich ändernden Selbstverständnis junger
Frauen offensichtliche Probleme, daran rieben sich die Debatten über
die politisch-theoretische Ausrichtung z.B. der Jusos. So wurde in dem
Verband über den sogenannten "doppelten Lebensentwurf",
d.h. einer Ermöglichung von Karriere wie Familie, gestritten, doch
hat sich damit unmerklich die Diskussion von der Realität junger
Frauen scheinbar wegbewegt. In einem scheinbar völlig liberalen System
der zumindest gesetzlich zugesicherten Gleichstellung ergeben sich für
junge Frauen lange keine Anhaltspunkte, an ihrer Gleichstellung zu zweifeln
und viele Männer denken ebenso, alles sei bestens. In diesem Sinne
wird fröhlich mit ehedem als "sexistisch" gebrandmarkten
Bildern geworben, was das Zeug hält.
In diese Situation, in der eine Haltung gegen diese alltagskulturelle
Dominanz eher zu einem Problem wird als die kulturelle Performanz, scheint
die sich weiterentwickelnde feministische Theorie sich dieser Diskrepanz
durch ein Abheben auf philosophisch-abstrakte Definitionsebenen von Geschlecht
zu verlieren. Doch um was geht es ihr eigentlich? Dieser Frage widmet
sich Antonia Freytag im ersten Artikel. Sie zeigt, wie "gender"
als eine generelle Kategorie der Konformisierung zu deuten ist und fragt,
ob man in Zeiten, in denen der "herkömmliche" Feminismus
ausgedient zu haben scheint, nicht ganz andere Strategien, vielleicht
subversiv-individueller Art, anwenden muss, um Geschlechterhierarchien
überhaupt erfolgreich in Frage stellen zu können - und zu müssen,
als Voraussetzung für eine neue Bewegung der Gleichstellung, deren
Ansatz sich nicht im Gegensatz zu einer auf einer vorwiegend ökonomischer
Basis beruhenden Geschlechterdifferenztheorie befinden muss. Ob dieser
Ansatz allerdings allein noch trägt, und ob er nicht durch das Element
der auf Geschlechterkonstruktionen basierenden Analyse und entsprechendem
Ansatz, Bilder von Männlichkeit wie Weiblichkeit in Frage zu stellen
erweitert werden kann, muss oder soll, ist zu fragen. Gestützt wird
dies zumindest von Tine Pleschs und Evi Herzings Artikel lautstark unterstützt
in einer Momentaufnahme frauendiskriminierender/Minderheiten diskriminierender
popkultureller Phänomene.
Hier wie in dem zunächst einmal grundsätzlich anders gelagert
scheinendem Artikel von Christine Eifler zur Geschlechterkonstruktion
in Armeen am Beispiel der USA, Russlands und der BRD geht es zentral um
die Frage der Performanz von Geschlecht und den Abgrenzungs- und Identitätskämpfen,
die sich im schönen Begriff des "doing gender" zusammenführen
lassen.
Wie dieses heutzutage in real existierenden Unternehmen der new economy-Branche
funktioniert, haben wir bei Tanja Hartwig, einer Managerin der mittleren
Führungsebene genau nachgefragt und haben gar nicht so überraschende
Antworten bekommen.
In dieser Ebene der realen Arbeitswelt findet sich auch der Artikel von
Gisela Notz wieder, der eine Bestandsaufnahme der momentanen Frauenpolitik
darstellt. Sie führt uns deutlich vor Augen, wie viel des Weges zu
einer Gleichstellung erst geschafft ist und inwiefern die von der rot-grünen
Bundesregierung sogenannte Frauenpolitik das Etikett eigentlich nicht
verdient. Nachdem deutlich geworden ist, wie viel eigentlich noch zu tun
ist, stellt Christine Gregori abschließend einen ersten Ansatz zur
Erneuerung eines frauenpolitischen Zusammenhanges über das Internet
vor, das Forum vernetzte-Frauen.de.
Neben dem bilanzierenden Moment und der theoretischen Perspektive, kommt
es nun darauf an, dass Deutungsmuster und Geschlechterkonstruktion in
ihren Funktionsweisen aufgezeigt werden. Inwiefern das subversive Strategien
oder politisch tragfähige Ansätze sind, zu einer weitergehenden
Gender-Politik zu kommen, wird sich zeigen. Vielleicht gelingt es uns,
dazu in spw eine Diskussion zu dieser wichtigen Frage zu entwickeln.
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